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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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kleinen Schönheitsfehler hinweg. Sie war auf seinen Befehl hin von der wirklichen Welt abgeschnitten worden und so damit beschäftigt, die Anforderungen zu erfüllen, die er an sie stellte, dass sie keine Zeit hatte, über irgendetwas anderes nachzudenken. Sie hatte akzeptiert, dass sie als Tochter des Anführers besonders ausgebildet wurde und besondere Pflichten hatte. Sie war nicht darauf erpicht, die unterwürfige Rolle der anderen Frauen zu übernehmen, die sauber machten, kochten, Wasser holten und die Männer bedienten.
    Aber kurz vor dem Einschlafen dachte sie manchmal an die Welt außerhalb der Siedlung. Und manchmal fühlte sie sich einsam, aber dann dachte sie: Wenigstens habe ich den alten Bären. Und natürlich meinen lieben Kontin .

34
    D er Frühling des Jahres 1905 war angebrochen. Fast neun Jahre waren vergangen, seit Sergej nach Walaam gekommen war. Neun Jahre des Dienens, der Kontemplation und des intensivsten Trainings, das man sich überhaupt vorstellen kann - Training für den Kampf und Training für das Leben. Sergej war mittlerweile zweiunddreißig Jahre alt und sein jugendliches Temperament hatte sich gewandelt. Er war reifer, demütiger und weitsichtiger geworden. Die Transformation, die Seraphim vorausgesagt hatte, hatte tatsächlich eingesetzt.
    Seit dem Tod seiner Frau hatte Sergej mehr als ein ganzes Jahrzehnt damit zugebracht, sich auf den Tag der Rache vorzubereiten. Manchmal schien ihm die ganze Idee der blanke Wahnsinn zu sein, manchmal erschien ihm seine Sache gerecht und ehrenhaft. Es war doch im Grunde alles so einfach: Wenn jemand deine Familie umbringt, dann schickst du ihn zur Hölle.
    Sergej war zu einem äußerst gefährlichen Krieger geworden und hatte - ohne es zu merken - sowohl Alexej den Kosaken als auch Razin weit hinter sich gelassen. Die gewaltige Kraft, die ihn durchströmte - ein Kennzeichen der Meisterschaft - wurde nur dadurch in Schach gehalten, dass Seraphim ihn regelmäßig verprügelte.
    Aber mit Sergejs Verwandlung stellte sich auch eine immer stärker werdende Ungeduld ein. Wieder und wieder stellte er sich die Frage, die ihm noch immer keine Ruhe ließ: »Wie lange will ich noch zulassen, dass Dimitri Sakoljew weiterlebt?« Sein Geist wandte sich nach Süden zu den jüdischen Siedlungen, wo Sakoljew und seine Männer vielleicht gerade in diesem Augenblick erneut dabei waren, Blut zu vergießen.
    Sergej erkannte, dass für ihn die Zeit des Abschieds gekommen war. Er konnte einfach nicht länger warten. Er bewunderte - und beneidete - Seraphim für den Frieden, den dieser gefunden hatte. Wahrscheinlich würde er dieser Gnade niemals teilhaftig werden. Aber zumindest hatte er alles gelernt, was ihm der Mönch auf dem Gebiet des Kampfes beizubringen hatte. Zumindest dieses Ziel hatte er erreicht.
    Bei ihrer nächsten Begegnung gab er seine Entscheidung bekannt. »Seraphim, es ist so weit. Ich muss mich auf den Weg machen.«
    Seraphim strich sich nachdenklich über den langen Bart und erwiderte: »Das mag schon sein, Socrates, aber ich frage mich, wie du so viele Männer besiegen willst, wenn du es noch nicht einmal geschafft hast, einen müden alten Mönch zu besiegen?«
    »Heißt das, dass ich Sie besiegen muss, bevor ich gehen darf?«
    »Du kannst jetzt sofort gehen, du hättest auch gestern gehen können. Du kannst gehen, wann immer du willst. Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, dies hier ist eine Einsiedelei und kein Gefängnis.«
    »Ich meinte, bevor ich mit Ihrem Segen gehen darf.«
    »Du hattest meinen Segen von dem Augenblick an, als du zu uns gekommen bist. Und sogar schon vorher.«
    »Ich glaube, Sie wissen sehr wohl, was ich meine, Seraphim.«
    Der Anflug eines Lächelns überzog das Gesicht des alten Mönchs, als er antwortete: »Ja, Socrates, ich glaube, wir verstehen einander mittlerweile ziemlich gut. Ich meinte nur, dass es ein gutes Zeichen deiner Bereitschaft wäre, wenn du mich im Kampf besiegen würdest. Mehr nicht.«
    Sie hatten in der Vergangenheit natürlich oft miteinander gekämpft, aber dieses Mal würde es anders sein. Dieses Mal war es nicht mehr ein Kind, das mit einem Giganten kämpfte. Sergej war schnell, jung und stark und er war durch das ständige Training bestens vorbereitet. Er übte ununterbrochen - beim Essen, bei der Arbeit, im Sitzen und selbst im Schlaf. Er war bereit.
    Er nickte Seraphim zu und dieser nickte bestätigend zurück. Worte waren unnötig.
    Sie umkreisten einander. Sergej holte tief Luft und

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