Socrates - Der friedvolle Krieger
Aber er hatte es getan. Und sie durfte ihn nicht enttäuschen. Paulina, die jetzt siebzehn Jahre alt war, fragte sich, wie viel Zeit sie noch hatte und wie lange sie wohl noch leben würde.
Am nächsten Tag fing der Ataman an laut vor sich hin zu murmeln. Er lief auf und ab wie ein gefangener Tiger und redete wie mit sich selbst: »Weich und bequem sind wir geworden. Wir sind ja schon bald ein richtiges Judendorf!«, schrie er. »Denkt daran, was ich euch gesagt habe. Wir müssen uns bewegen, dann kann man uns nicht treffen. Also werden wir uns wieder bewegen!«
Er versank in einer Finsternis, in die ihm niemand folgen konnte. Aber ganz plötzlich und ohne erkennbaren Grund kam er wieder zu Sinnen und gab seine Befehle mit vollkommener Klarheit. Manche hofften, er würde vergessen, dass er das Dorf hatte aufgeben wollen. Andere nahmen sich vor, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen.
Sakoljew konnte nicht mehr zwischen der Realität und seinen schrecklichen Träumen unterscheiden. Seine ganze Welt war ein einziger Albtraum geworden. Nur ein einziger Gedanke hielt ihn noch am Leben: die Gewissheit, dass Paulina Sergej Iwanow töten würde. Sie würde das Letzte sein, was er in diesem Leben sah. Falls er sie überhaupt sah. Und dann wäre der Gerechtigkeit endlich Genüge getan worden.
Korolew sah Sakoljews geistigen Verfall mit immer größer werdender Verachtung zu. Und wann immer die aufblühende Paulina an ihm vorbeiging, folgten ihr seine kalten blauen Augen.
46
S ergej verließ das Dorf zwar mit wenig Hoffnung, aber dafür mit dem Segen der Familie Heitzik und mit neuen Vorräten. Der Regen hatte aufgehört und die Luft war klar und frisch. Es war ein guter Tag, um sich auf Spurensuche zu machen - falls es überhaupt noch Spuren gab.
Sergej ritt zu den Trümmern des Gehöfts zurück und zu dem Ort, an dem er die Spuren der Pferde gesehen hatte. Nun fand er nur noch Schlamm, aber nicht die geringste Spur. Aber immerhin wusste er, in welcher Richtung er suchen musste. Aber wusste er das wirklich? Denk nach , sagte er zu sich selbst. Würde Sakoljew den Ort des Massakers wirklich auf dem direktesten Weg verlassen? Ziemlich unwahrscheinlich. Seine Spur führte nach Südwesten , Richtung Podolia und Bessarabien, in eine Gegend, in der man sich nicht besonders gut verstecken konnte .
Aber was, wenn sie die Richtung geändert hätten? Wohin würden sie wohl gehen? Nach Norden, sagte ihm sein Instinkt. Nach Norden in die Wälder um Kiew, wo er schon einmal Spuren gefunden hatte, die in einem Flusslauf verschwunden waren. Er kannte die Gegend mittlerweile ziemlich gut und wenn er Sakoljew wäre, würde er sich dort verstecken.
Mit den Knien befahl er Paestka, langsam vorwärts zu gehen. Vielleicht war der Boden ein Stück weiter härter und zeigte noch Spuren. Aber nach fünfzig Metern hatte er noch nichts gefunden, auch nach hundert nicht und nicht nach zweihundert. Aber nach etwa dreihundert Metern sah er die Spuren vieler Hufabdrücke. Es musste sich um eine Gruppe Reiter handeln. Er folgte den Spuren, bis sie wieder verschwanden.
Sergej ritt in seinen eigenen Spuren zurück, bis er die fremden Spuren wiedergefunden hatte, und schlug einen Kreis, bis er sich nach Nordwesten wandte. Da er auch dort nichts fand, folgte er wieder seinen eigenen Spuren zurück und ritt den ganzen Nachmittag in immer größer werdenden Kreisen herum. Als sich die noch kraftlose Frühlingssonne senkte, wollte er es eigentlich gut sein lassen, als er plötzlich wieder einen Hufabdruck sah. Er ritt im Kreis herum und fand weitere Hufabdrücke, die nach Nordosten führten. Er hatte ihre Spur gefunden, dessen war er sich ganz sicher.
Manchmal verlor er die Fährte wieder, aber dafür sah er andere Anzeichen, die dafür sprachen, dass Reiter vorbeigekommen sein mussten. Sergej entdeckte abgebrochene Zweige in Kopf- oder Schulterhöhe, Pflanzen, die die Pferde beim Gehen abgebissen oder ausgerissen hatten, und niedergetrampeltes Gras. Im Stillen dankte er Alexej für diese wertvollen Lektionen im Spurenlesen.
Er hatte gehofft, dass die Truppe direkt in ihr Lager zurückreiten würde, aber die Spuren führten in die Außenbezirke der Stadt Nischyn, wo sich die Spur in einem Gewirr aus Hufabdrücken und Karrenspuren verloren.
Es schien Sergej unwahrscheinlich, dass sich die Männer lange in der Stadt aufgehalten haben könnten. Aber in der vagen Hoffnung, etwas über sie herauszufinden, ritt er in die Stadt, um sich
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