Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
aber...«
Der Venusier setzte sein Glas ab. Der Wein schmeckte ihm nicht mehr. Als er sprach, zeigte er zum erstenmal nichts mehr von der Liebenswürdigkeit, die man den Menschen seines Heimatplaneten nachsagte.
»Ich sagte schon, daß es nicht um Mitgefühl geht«, erklärte er. »Da der Mann sterben wird, den Sie meinen Schützling zu nennen belieben, haben wir ihn ja wohl zum Tode verurteilt. Seit wann sieht das marsianische Recht Todesurteile ohne Anklage und Gerichtsverhandlung vor?«
»Diese Leute sind keine Bürger der Vereinigten Planeten.«
»Aber sie sind Menschen. Und ihre Vorfahren haben uns nicht darum gebeten, sie von der Erde zu entführen.«
Simon Jessardin stand mit einem Ruck auf.
Fast erstaunt stellte der Venusier fest, daß sich in dem straffen Asketengesicht etwas wie eine Gefühlsaufwallung abzeichnete. Jessardin verschränkte die Hände auf dem Rücken und starrte die Abbildung des Sonnensystems an, die reliefartig eine der Wände schmückte.
»Also gut, sie sind Menschen«, sagte er beherrscht. »Unsere Art, sie zu behandeln, ist gemessen an allgemeinen ethischen Normen unmoralisch und widerspricht der marsianischen Rechtsauffassung. Aber die irdische Geschichte mit den zahllosen kleineren und der einen großen Katastrophe hat gelehrt, daß das Projekt Mondstein notwendig ist. Wir sind in diesem einen Fall unmoralisch, um die Zukunft der gesamten Menschheit zu sichern. Die Verpflichtung, sich in den Dienst des Staates und der Allgemeinheit zu stellen, gilt für jeden einzelnen Bürger der Vereinigten Planeten und im besonderen für die Entscheidungsgremien. Sie schließt auch die Notwendigkeit mit ein, sich bisweilen die Hände schmutzig zu machen, da es nun einmal keinen idealen Staat gibt. Ob wir das gern tun, ist unerheblich, mein Freund. Ich persönlich verabscheue zum Beispiel die Todesstrafe und finde die Strafkolonien der Luna-Bergwerke höchst unerfreulich. Aber beide Institutionen sind notwendig. Die Moral ist in erster Linie eine Frage der Vernunft, Conal.
Und die Vernunft verlangt, die Dinge in den großen Zusammenhängen zu sehen.«
Conal Nord seufzte.
Im Grunde, wußte er, war dies alles tatsächlich ein persönliches Problem, mit dem er selbst fertig werden mußte.
»Eine umfassende staatsphilosophische Analyse«, stellte er fest. »Sie haben recht, Simon. Vermutlich liegt es einfach an diesem unheilbaren inneren Widerspruch Krieg für den Frieden.«
»Der kein Widerspruch ist, da sich Kriegsführung und Friedensbemühungen in diesem Fall auf völlig verschiedenen, nicht miteinander vergleichbaren Ebenen abspielen. Im übrigen dürfte der Rat bereits auf uns warten. Einige unserer jungen Wissenschaftler brennen förmlich darauf, dem Venus-Projekt zugeteilt zu werden.«
Conal Nord nickte nur und stand auf.
Das Venus-Projekt...
Sein Engagement für dieses Unternehmen war in den letzten Tagen merklich abgekühlt. Aber es wurde Zeit, endlich zu konkreten Entscheidungen und Vorbereitungen zu kommen - und er ertappte sich bei dem Gedanken, daß er nichts dagegen hatte, den Mars schneller wieder zu verlassen, als eigentlich vorgesehen war.
VII
Wie Schatten kamen sie aus der Dämmerung: Gerinth und Camelo, Jarlon, Karstein und Kormak, Gillon von Tareth mit dem wirren roten Schopf und den grünen Augen der Tareth-Sippe.
Schweigend schüttelten sie Charru die Hand, Jarlon umarmte ihn und kämpfte gegen die Erschütterung, die sein junges Gesicht zeichnete. Gerinths Blick wanderte zu der großen Mauer. Seit Tagen trug auch er wieder sein mächtiges Langschwert an der Seite, und er hatte Charrus alte Waffe mitgebracht, als Ersatz für das Schwert seines Vaters, das bei den Priestern im Tempel geblieben war.
»Du hast es geschafft«, sagte der alte Mann ruhig. »Aber ich begreife nicht, wie. Und ich begreife nicht, warum wir uns hier treffen müssen. Es ist gefährlich.«
»Du wirst es gleich begreifen. Jarlon, halt Wache in den Felsen! Bleib in Hörweite, aber paß auf, daß uns niemand belauscht oder angreift.«
Der Junge nickte schweigend.
Geschickt turnte er zwischen die Steinblöcke, die die Quelle umgaben, und kauerte sich in eine Mulde. Charru warf das Haar zurück. Er suchte nach Worten - nach Worten, die nicht allzu phantastisch klangen.
»Ich wollte Bar Nergal töten«, sagte er langsam. »Wahrscheinlich hatte ich einfach den Verstand verloren. Natürlich überwältigten sie mich. Aber ich konnte mich losreißen und ins Tal des Todes entkommen.«
Gerinths
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