Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
gespürt, und jetzt erkannte er den unmerklich bitteren Unterton in seiner Stimme.
»Sie interpretieren die Gesetze der Vereinigten Planeten recht großzügig, Professor.«
»Gesetze?« fuhr der Angesprochene auf.
»Natürlich. Oder gelten die Gesetze nicht mehr für alle Menschen?«
»Aber...aber er ist kein Mensch, er...«
Charrus Kopf ruckte hoch. Für Sekunden wurde der glimmende Haß in seinen Augen zu verzehrenden Flamme.
»Was sonst?« stieß er hervor. »Ein Raubtier, das deine Sprache spricht, du Teufel? Was unterscheidet uns von euch? Was gibt euch das Recht, mein Volk wie Tiere einzusperren, was...«
Er verstummte.
Der Haß schüttelte ihn, aber er schwieg, weil ihm klargeworden war, daß er nicht verraten durfte, wieviel er schon wußte. Vielleicht gab es noch einen Weg. Hart grub er die Zähne in die Unterlippe, kämpfte den Haß nieder und versuchte, seinen Stolz zu bezwingen.
»Ich will zurück«, sagte er tonlos. »Bringt mich dahin zurück, wo ich hergekommen bin. Bitte...«
»Das ist ausgeschlossen, das geht nicht!« ereiferte sich der Professor.
»Warum nicht?« fragte der Mann mit dem Namen Nord müde. »Die Priester werden ihn umbringen und alles, was er sagt, als das Gerede eines Wahnsinnigen abtun. Lassen Sie ihn wenigstens dort sterben, wo er zuhause ist, Jessardin! Oder lassen Sie ihn leben.«
»Wir können ihn nicht leben lassen, das wissen Sie. Also gut, bringen wir ihn zurück. - Nummer zwanzig?«
Charru spürte die Bewegung hinter sich.
Etwas preßte sich auf sein Gesicht - eine Art Maske, wie sie die Priester manchmal zu besonderen Anlässen benutzten.
Wieder roch er das süßliche Gas, und noch während es dunkel um ihn wurde, versuchte er, das wilde Gefühl des Triumphs zu verbergen, das ihn erfüllte.
*
Diesmal dauerte die Ohnmacht länger.
Noch ehe die Erinnerung einsetzte, sagten ihm seine Sinne, wo er war: er roch das Wasser des Flusses und fühlte die Kälte der dunklen Felsen unter seinem Körper. Mühsam kämpfte sich sein Bewußtsein zurück an die Oberfläche. Als er die Augen öffnete, sah er das blaue Zwielicht des erwachenden Tages. Er war zurück. Zu Hause... Auch die Quelle des schwarzen Flusses mußte ein Weg in jene andere Welt sein, aber er war sicher, daß die Fremden auch diesen Weg für immer versperren würden.
Sie hatten ihn hierhergebracht, damit die Priester ihn fanden und töteten.
Warum? Weil sie sich selbst nicht die Hände schmutzig machen wollten? Damit alles die einmal von ihnen bestimmte Ordnung hatte? Charru lächelte bitter, als er sich aufrichtete. Sein Blick wanderte zu der blauen Kuppel hinauf, und der Gedanke an die Riesengestalten, die jetzt vielleicht dort draußen standen und in die Halbkugel zu ihm herunterstarrten, ließ ihn schauern.
Sie waren Riesen.
So wie Jarlon, Camelo und Gerinth winzige Spielzeug-Figürchen gewesen waren, als er, Charru, außerhalb der Kuppel gestanden hatte. Es mußte der blaue Tunnel sein, der das zuwege brachte. Der blaue Tunnel, der aus dem gleichen Stoff bestand wie die Kuppel, dem Stoff, den sie »Mondstein« nannten...
Wenn sie draußen standen, um zu beobachten, wie die Priester über ihn herfielen, konnten sie lange warten.
Solange er am Fluß blieb, war er sicher. Und er würde auch über die Felswände kommen: die Fremden kannten ihr Spielzeug nicht gut genug, vor allem nicht die Krieger und Wächter, die von den Priestern brutal unterdrückt und in Aberglauben und Furcht gehalten wurden, Er, Charru von Mornag, war mit dem schwarzen Fluß in die Ewigkeit geschwommen. Wenn die Wächter ihn lebendig wiedersahen, würden sie ihn nicht ergreifen, sondern schreiend vor ihm davonlaufen.
Und dann mußte er nach Mornag gehen.
Es gab einen Platz im Tiefland, wo die Fremden sie offenbar nicht belauschen konnten: das Gebiet um die Quelle. Dort konnten sie reden, und sie würden sich auch verbergen können - er hatte selbst gesehen, wie schwierig es war, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Wenn sie es geschickt und vorsichtig anfingen, mußte es einen Weg geben. Einen Weg in die Freiheit, in eine Welt, die so unendlich groß war, daß sie jedem Raum genug bot, um in Frieden zu leben.
Charru stand auf, noch taumelnd unter den Nachwirkungen der Ohnmacht, und ging zum Flußufer hinunter. Während er etwas Wasser mit der hohlen Hand schöpfte und trank, fiel ihm ein, daß er auch in jener anderen Welt dunkle, stille Wasserläufe gesehen hatte. Er dachte an die endlose Ebene, die Berge, die
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