Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
sich den Schweiß von der Stirn.
Als er durch den Flur in den Relax-Raum ging, sah er flüchtig in den Spiegel und registrierte kopfschüttelnd die angestrengten Linien seines Gesichts. Er würde Schwierigkeiten bekommen. Die Wissenschaftler der venusischen Staatsuniversität betrachteten ihr Projekt Mondstein als höchstes aller Ziele und dachten gar nicht daran, die Frage seiner politischen Notwendigkeit und moralischen Berechtigung zu prüfen. Und Conal Nord war sich nur zu bewußt, daß er im Grunde gelogen hatte. Er hatte das Problem auf wissenschaftliche Fragen reduziert, weil dem Rat der Vereinigten Planeten anders nicht beizukommen war.
Er wandte sich um, als er das Geräusch der auseinandergleitenden Tür hörte.
Simon Jessardin lächelte, als er hereinkam. Der Blick seiner hellen Augen war von beunruhigender Schärfe, wie immer, und von einem beunruhigenden Verständnis.
»Meine Gratulation«, sagte er, während er sich auf eine der Relax-Liegen sinken ließ. »Das war eine elegante Lösung.«
Conal Nord setzte sich ebenfalls. Sanft drückte der Massage-Ring in seinen Nacken, zwei metallene Plättchen berührten seine Schläfen. Er fühlte sich durchschaut. Und er ließ sich von Jessardins Liebenswürdigkeit nicht täuschen, da er wußte, daß darunter Granit lag - der Granit fester Überzeugungen und absoluter persönlicher Integrität.
»Die Allmacht der Wissenschaft«, sagte der Venusier gedehnt.
»Die Sie für Ihre Zwecke benutzt haben...«
Nord schüttelte den Kopf, wobei das Gitter dünner Silberdrähte ein wenig knirschte. Die leise Vibration des Relax-Helms entspannte fühlbar seine Nerven.
»Nein«, sagte er. » Es ist mir ernst, Simon, das dürfen Sie mir glauben. Ich lehne das Projekt Mondstein ab, was als rein persönliche Meinung selbstverständlich unerheblich ist. Aber da ich eine gewisse Verantwortung trage, kann ich meine eigenen Bedenken nicht ignorieren. Ich möchte, daß die meiner Ansicht nach kritischen Punkte wissenschaftlich noch einmal gründlich geklärt werden, das ist alles.«
»Ihr gutes Recht, Conal.«
»Und Sie? Hätten Sie im Rat eine Beschlußvorlage eingebracht und die Abstimmung ad hoc beantragt, wäre ich gescheitert?«
»Sicher.« Simon Jessardin lächelte. »Aber ich achte jede vernünftige Entscheidung. Wir dienen alle der gleichen Sache, mein Freund. Und es ist nicht gut, Machtpositionen in eine Waagschale zu werfen, die von Wahrheit und Vernunft ohnehin zur richtigen Seite geneigt werden wird.«
»Mit der Zeit«, sagte Conal Nord.
»Ja, mit der Zeit. Aber warum sollen wir nicht die Zeit arbeiten lassen, solange uns nicht eine Krise zum Gegenteil zwingt?«
Die beiden Männer schwiegen. Sie dachten nach. Simon Jessardin überließ sich der Entspannung der Relax-Vibration und versuchte dabei, ein wissenschaftliches Problem zu analysieren. Conal Nord tat das gleiche. Und beide ahnten nicht, wie verschieden die Richtungen waren, in die sich ihre Gedanken bewegten.
*
Auch unter dem Mondstein war der Tag angebrochen.
In dieser Welt gab es keine Sonne. Nur das blaue Licht der Kuppel drang in jeden Winkel. Auf der großen Mauer patrouillierten die Krieger der Priester. Noch hatte Bar Nergal nicht entschieden, was mit den Stämmen geschehen sollte. Ehe er einen endgültigen Entschluß faßte, würde er nochmal die schwarzen Götter anrufen.
Charru und Camelo kauerten zwischen den Felsen um die Quelle, in jener Mulde, in der sie früher so oft ihre Gespräche geführt hatten, ohne zu ahnen, daß sie instinktiv den einzigen Ort wählten, an dem sie nicht belauscht werden konnten. Jetzt schwiegen sie. Dafür wurde in Mornag geredet. Trotz der unsichtbaren Lauscher - denn Charru war sich klar darüber, daß die Fremden Verdacht schöpfen würden, wenn er nicht versuchte, den Stämmen die Wahrheit zu sagen.
Jarlon würde den jungen Männern, den Jünglingen und den Kindern an der Schwelle zum Erwachsenwerden von jener fremden Welt erzählen.
Gillon von Tareth berichtete seiner Sippe, Karstein den Nordmännern, Kormaks Schwester Tanit den Frauen. Und Gerinth würde den Rat befragen. Alles war geplant. Genau geplant - bis zu dem Punkt, an dem die Stämme beschlossen, einen Weg in die Außenwelt zu finden, wenn sie es vermochten.
Nur eins würde mit keinem Wort erwähnt werden: daß sie den Weg schon kannten.
Das Tor der Götter.
Nicht viele konnten durch dieses Tor _ entkommen, denn es mußte heimlich geschehen. Und die wenigen, die es schafften, würden
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