Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
Augen wurden schmal. »Jarlon und Camelo haben sich eine ganze Zeit auf dem Plateau versteckt, um auf dich zu warten. Sie sagten, die Priester hätten behauptet, du seiest in den Fluß gegangen und in den Nebeln verschwunden.«
»Ja...«
»Dann - gibt es eine Möglichkeit, den Fluß noch im Bereich des Nebels zu verlassen? Das Tal wieder zu erreichen?«
»Nein, Gerinth. Aber der Fluß endet nicht in den Flammen. Dort, wo er über die Kante stürzt, gibt es kein Feuer. Und er stürzt in einen unterirdischen See.«
Mit angehaltenem Atem starrten sie ihn an.
»Du - hast einen Weg durch die ewigen Flammen gefunden?« fragte Karstein tonlos.
Charru nickte. Er begann zu erzählen - langsam und stockend, denn es war schwer, Dinge verständlich zu machen, die er selbst noch nicht völlig begriff. Er berichtete von dem unterirdischen Raum, von den wasserführenden Röhren, die offenbar den ewigen Kreislauf des Flusses in Gang hielten. Er berichtete von dem blauen Tunnel - und er sprach nicht von dem Grauen, von seiner panischen Flucht, sondern von der unleugbaren Tatsache: daß er in diesem Tunnel gewachsen war, zu gigantischer Größe, zu einem Maß, das selbst die Kuppel überragte, unter der sie alle lebten.
»Das ist nicht wahr«, sagte Gillon von Tareth nach einem langen Schweigen.
Charru sah in seine grünen Augen. »Glaubst du, daß ich lüge?«
»Natürlich nicht, aber...«
»Daß ich geträumt habe? Oder wahnsinnig geworden bin?«
Gillon schüttelte den Kopf. Er war älter als Charru: ein breitschultriger, kräftiger Mann mit starken Händen und einem ruhigen, kühlen Geist, den nichts so leicht erschütterte. Jetzt verzerrte sich sein Gesicht in schmerzhafter Anspannung.
»Nein«, sagte er. »Aber - dieser Nebel, der Sturz... Vielleicht ist der Nebel giftig, vielleicht hat er irgend etwas Berauschendes. Du bist über die Kante gestürzt, durch diesen Tunnel gelaufen und dann - wieder im Tal des Todes erwacht, nicht wahr?«
Charru lächelte matt. »So war es nicht, Gillon. Als ich durch den Tunnel lief, war ich vor Schrecken halb wahnsinnig, taumelte irgendwohin und verlor das Bewußtsein. Aber als ich wieder aufwachte, konnte ich völlig klar denken. Und ich war nicht im Tal des Todes, sondern in einer anderen Welt. In einer Welt jenseits der Flammenwände und der blauen Kuppel.«
Stille. Gerinths nebelgraue Augen hatten sich verdunkelt, brannten plötzlich in einem seltsamen Feuer.
»Die Welt hinter den Flammen«, flüsterte er. »Ich ahnte es.«
»Du - ahntest es?«
»Es gab immer schon Legenden. Uralte Sagen, die davon sprachen, daß unser Volk aus einer anderen Welt hierher gekommen ist. - Charru! Ist es möglich, daß wir alle den Weg finden werden?«
»Vielleicht. Aber hör erst zu!«
Leise sprach er weiter, und jetzt zweifelte niemand mehr an seinen Worten. Camelo hatte sich vorgebeugt. Sekundenlang schien er mit offenen Augen zu träumen, und Charru lächelte, weil er wußte, was sein Freund zu sehen glaubte: den dunklen, unendlich weiten Raum mit den Lichtern, die Sterne hießen.
In Camelos Gesicht wurden solche Bilder zu Liedern und Musik.
Für Karsteins Augen waren Türme Festungen, und er sah immer zuerst den Boden, auf den er seine Füße setzen konnte. Und Jarlon träumte von den Wundern einer fremden Welt, von Kämpfen und Abenteuern, so wie Gerinth vom endlichen Frieden träumen mochte...
Charru erzählte. Von der durchsichtigen Kuppel in der großen weißen Halle. Von dem Gespräch, das er belauscht, und von dem, was er unter der Kuppel gesehen hatte.
Er berichtete genau. Jede Einzelheit der Szene an der Quelle hatte sich in sein Gedächtnis geprägt, und jede Einzelheit wiederholte er. Alle, die ihm zuhörten, waren dabeigewesen, hatten zur Mauer hinübergestarrt und mit Gerinth und den Ältesten des Rats darüber gestritten, ob sie einen Angriff wagen sollten. Alle waren sich klar darüber, daß Charru sie von keinem anderen Platz aus beobachtet hatte als von außerhalb der Kuppel.
Sie schwiegen. Wie versteinert starrten sie ihn an. Er beendete rasch seinen Bericht, fügte die wenigen Einzelheiten hinzu, die noch wichtig waren, und danach senkte sich die Stille herab wie ein Mantel.
»Warum?« flüsterte Camelo schließlich. »Warum, Charru?«
»Das weiß ich nicht. Sie sprachen von einem Spielzeug. Und davon, daß es lehrreich sei.«
»Spielzeug...« wiederholte Gerinth tonlos.
»Und sie schicken die schwarzen Götter?« stieß Karstein hervor.
»Ja.«
»Sie hetzen
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