Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
angespannter, im Widerschein des Feuers leuchtender Gestalt und glitt zu der Mauer hinüber. Krieger patrouillierten, aber ihre Aufmerksamkeit galt dem Tal. Und der Fuß der Mauer und der Felswände wurde genausowenig bewacht wie am Morgen. Charru duckte sich, machte einen Schritt zur Seite und war im nächsten Augenblick in der Schwärze eines klaffenden Felsspalts verschwunden.
Er war der letzte, denn er ahnte, daß gerade er nicht zu lange verschwunden bleiben konnte, ohne den Verdacht der fremden Beobachter zu erregen. Schnell und geschickt wie eine Katze kletterte er aufwärts. Erst knapp unterhalb des Plateaus verharrte er und lauschte.
Nichts rührte sich.
Falls überhaupt. Wächter auf dem Plateau waren, galt auch ihre Aufmerksamkeit dem Tal und dem Tor der, Götter. Was sollten sie auch befürchten? Die Stämme. waren geschlagen, ihr Anführer galt immer noch als tot und daß jemand freiwillig die Nähe der schrecklichen schwarzen Götter suchte, vermochten sich die Wächter wohl einfach nicht vorzustellen.
Charru zog sich geschmeidig über die Kante und duckte sich zwischen die Felsen.
Im unruhigen Spiel von Schatten und roten Reflexen, die die Flammenwände über die Ebene warfen, war es nicht schwer, sich zu verbergen. Nicht jetzt, da er wußte, worauf es ankam. Meter um Meter arbeitete er sich über das Plateau, bis er fast den Grat erreicht hatte, und dort wartete Camelo zusammengekauert in einer Mulde.
Kein Wort fiel zwischen Ihnen.
Das letzte Stück glitten sie wie Schlangen über den Boden, dann lag die schwarze Felswand unter ihnen. Ein dumpfes, unheilvolles Echo warf die Schläge der Trommel zurück. Bar Nergal stand mit ausgebreiteten Armen auf dem Plateau, in tiefe Meditation versunken. Sein Gewand leuchtete rot wie Blut. Das fahle, starre Gesicht glich mehr denn je einem Totenschädel. Priester und Akolythen bildeten einen Halbkreis um ihn, und dahinter drängte sich stumm und furchtsam die Menge.
In dem Augenblick, als zum erstenmal der hohe, klagende Ruf des liturgischen Horns ertönte, schwang sich Charru über die Kante in die lief eingeschnittene Rinne, die sich schräg bis zu einer Stelle etwa auf halber Höhe des Göttertors hinzog.
Scharfe Felszacken ragten dort empor, dahinter gab es einen Vorsprung unter einem schützenden Überhang.
Charru hatte den Platz bei seiner Flucht aus dem Tempel gesehen. Damals war ihm der Überhang fast zum Verhängnis geworden, jetzt bot er das Versteck, das sie brauchten. Gerinth, Kaistein und Gillon kauerten dort. Nur ihre Augen verrieten Erleichterung, als Charru und Camelo ebenfalls in den tiefen Schatten glitten.
Von hier aus konnten sie das Plateau unterhalb der Wand mit einem Sprung Erreichen.
Heute nacht würde sich das Felsentor nicht für einen grausamen Götzen, sondern für die Menschen öffnen. Jenseits des Tores lag eine ganze Welt. Sie brauchten nur noch zu warten.
*
Conal Nord war allein in der Museumshalle.
Mit verschränkten Armen stand er da und blickte in die schimmernde Halbkugel. Gleichzeitig mit ihm, wußte er, beobachtete mindestens ein Wissenschaftler der Abteilung Friedensforschung den Mondstein. Aber die Monitor lieferten nur mittelmäßiges Bildmaterial, und der nächtliche Observationsdienst war wohl ohnehin für die meisten Beteiligten ermüdende Routine.
Conal Nord verfolgte die Bemühungen der Figürchen, einen Weg durch die Flammenwände zu finden.
Sie schafften es nicht, es war unmöglich. Vielleicht versuchten sie es auch gar nicht wirklich. Wirklich versuchen würde es nur einer, und den konnte Conal Nord nirgends entdecken.
Er dachte an die »Kadnos III«, die übermorgen starten und ihn zurück in seine Heimat bringen würde.
Dort wurden vermutlich schon eifrig Forschungsprogramme entwickelt. Die venusischen Wissenschaftler wollten ihr Spielzeug haben, und über kurz oder lang würden sie es sicher bekommen. Nicht einmal er, Conal Nord, konnte die Entwicklung auf die Dauer aufhalten.
Es war sinnlos, hier zu stehen.
Er wußte es - und doch schaffte er es einfach nicht, sich vom Anblick der schimmernden Halbkugel loszureißen.
VIII
Stimmen.
Murmelnde, raunende, beschwörende Stimmen, die dem dumpfen Takt der Trommel folgten, lauter wurden, sich zum Heulen steigerten, das keine einzelnen Worte mehr unterscheiden ließ. Die Menschen duckten sich unter dem schrillen, peitschenden Klang des Horns. Immer noch hatte. Bar Nergal die Arme ausgebreitet. Sein Blick haftete an dem Felsen, gegen den die
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