Söhne der Erde 06 - Das Erbe des blauen Planeten
dann keinen Finger gerührt, um die Strafe von ihm abzuwenden. Es war Charru von Mornag gewesen, der ihn schützte. Charru und Mircea Shar hatten nach ihm gesucht, hatten ihm geholfen, und jetzt...
Seine Gedanken stockten, als die Gruppe der Priester auf ihn zukam.
Zai-Carocs tiefliegende Augen funkelten. Sein Gesicht war fahl, die Lippen preßten sich zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammen.
»Dayel!« murmelte er. »Was machst du hier?«
»Ich ...weiß nicht. Ich habe geträumt und...«
»Ah, geträumt!« Die Stimme des Priesters wurde schneidend. »Du wirst uns erzählen, was passiert ist, Dayel! Irgend etwas stimmt hier nicht! Irgendein unheilvolles Geheimnis lauert in diesem Labyrinth. Du bist der einzige, der es gesehen hat. Und wir wollen wissen, woran wir sind, verstehst du? Du wirst es uns erzählen!«
Dayel wich zurück. Seine Lippen zitterten.
»Aber ich weiß es doch selbst nicht! Ich schwöre ...«
Mit einem langen Schritt stand Zai-Caroc vor ihm. Die dürren Finger krallten sich in den Stoff der Akolythen-Robe.
»Sprich!« zischte der Priester. »Du wirst es erzählen, oder es geht dir schlecht, verstanden?«
*
Charru taumelte.
Seine Schulter stieß gegen Metall. Blindlings klammerte er sich irgendwo fest und fühlte ein leichtes Vibrieren unter seinen Händen. Erinnerung flutete in sein Hirn. Dayel ...Die Treppe, die gigantische Halle ...Etwas war geschehen. Etwas, das er als Sturz ins Bodenlose im Gedächtnis hatte, als Schwindel und Schwärze. Mühsam hob er die Lider und starrte in das kühle Licht des Raums, der vor ihm lag.
Nicht mehr das riesige Gewölbe.
Ein großer runder Raum. Wände aus Kristall und Silber, farbig glimmende Lichtpunkte...
Charru hielt den Atem an. Wie ein Blitzstrahl durchzuckte ihn der Schrecken und verkrampfte seine Muskeln. Er wußte nicht, wo er sich befand, wußte nicht, wie er hierhergekommen war. Er erinnerte sich nur an das Gefühl des Stürzens - und von der ersten Sekunde an spürte er mit jeder Faser, daß etwas oder jemand anwesend war und ihn beobachtete.
Hastig löste er die Hände von der schlanken Säule, an die er sich geklammert hatte.
Eine von mehreren Kristallsäulen, durch die seltsame rötliche Lichtströme pulsten. Charru schluckte mit trockener Kehle. Seine Rechte tastete nach dem Schwert, und sekundenlang brauchte er alle Kraft, um der aufflackernden Panik Herr zu werden.
Dayel hatte von Unsichtbaren gesprochen.
War er ihnen in der riesigen Halle begegnet? War das alles vielleicht ein Alptraum, eine Halluzination, hervorgerufen von einem Gift in der Luft oder jener unbekannten Strahlung? Charru befeuchtete seine Lippen mit der Zunge. Langsam ging er auf eine der Wände zu. Sie war glatt, aber bedeckt mit farbigen Lichtpunkten, mit durchsichtigen Scheiben, fremdartigen Symbolen - Dingen, die ihn an die Schaltpulte und Geräte der »Terra l« erinnerten.
Ein Schiff?
War er auf irgendeine Weise ins Innere eines fremden Raumschiffs geraten?
Unmöglich, dachte er.
Aber als er die Hand ausstreckte und die Wand berührte, fühlte er kühle, harte Materie unter seinen Fingern. Die Wand existierte. Genauso wie der Boden unter seinen Füßen und die runde leicht gewölbte Decke über ihm. Es konnte keine Halluzination sein. Er träumte nicht. Aber wenn es kein Traum war - was war es?
Charrus Rechte schloß sich krampfhaft um den Schwertgriff.
Fast im gleichen Augenblick entstand ein schmerzhaftes Summen in seinem Schädel - wie eine Warnung davor, die Waffe zu ziehen. Er wandte sich um, ließ den Blick durch den Raum wandern und zuckte zusammen, als vor ihm vollkommen lautlos ein Teil der Wand auseinanderglitt.
Ein zweiter, kleinerer Raum, nicht mehr als eine Zelle.
Der silbrige Schalensessel, den er darin erkannte, glich vage den Pilotensitzen der »Terra 1«. Instrumente bedeckten die Wände, und auch hier blinkten rhythmisch die farbigen Lichter und ließen Reflexe über das Material des Stuhls tanzen.
Charru zögerte, darauf zuzugehen.
Die Vorstellung, daß sich die Wand hinter ihm schließen und er in dem winzigen Raum gefangen sein könnte, erschreckte ihn. Aber war er nicht so oder so gefangen? Er sah keinen Ausgang, keine Tür, keinen Tunnel, nichts. Ein Frösteln zog über seine Haut. Er gestand sich ein, daß er Angst hatte - und im gleichen Augenblick schien tief in seinem Schädel eine Stimme zu dröhnen wie eine Glocke.
»Erdenmensch! - Du bist ein Erdenmensch!«
Charru fuhr herum.
Sein Blick zuckte hin und her;
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