Söhne der Erde 06 - Das Erbe des blauen Planeten
»Aber ihr werdet euch nicht noch einmal an irgend jemandem vergreifen, habt ihr das verstanden?«
»Mit welchem Recht ...«, begann Beliar gepreßt.
»Das Recht ist dazu da, den Schwächeren zu schützen, Beliar. Ich erteile euch keine Befehle, und ich hindere niemanden, der euch freiwillig gehorchen will. Aber ich dulde keinen Terror, ein für allemal. Und jetzt geht zurück zu den anderen.«
Eilig wandten sie sich ab.
Beliar preßt die Lippen zusammen, Zai-Carocs Augen funkelten schon wieder vor Haß, doch Charru blieb unbeeindruckt. Er sah Dayel an. Der Junge lehnte immer noch an der Wand, blaß und unschlüssig. Einen Moment sah es aus, als wolle er den Priestern folgen, dann schüttelte er mit dem Kopf und biß sich auf die Lippen.
»Gibt es irgend etwas dort unten?« fragte er tonlos.
Charru zuckte die Achseln.
»Eine unsichtbare Strahlung, nehme ich an«, sagte er ruhig. »Oder ein Gift in der Luft, das betäubt und Halluzinationen erzeugt. Wir werden es herausfinden.«
Dayel nickte nur.
Aber in seinen Augen nistete immer noch Angst, und sein Blick verriet, daß er an diese Erklärung nicht wirklich glauben konnte.
VII.
Am nächsten Morgen stieg Charru zum zweitenmal die schmale, endlos lange Treppe hinunter.
Camelo und Karstein waren hinter ihm, außerdem Helder Kerr, der die Skalen seines Meßgerätes beobachtete. Vergeblich, wie sich herausstellte. In der riesigen Halle gab es keine Strahlung, und diesmal verlor auch niemand das Bewußtsein, obwohl sich Charru bis in die Mitte des großen Raums wagte.
Einigermaßen ratlos verließen sie das Gewölbe.
Helder Kerr hatte keine Erklärung für die rätselhaften Vorgänge. Er schenkte ihnen auch nicht viel Beachtung - dafür war er viel zu fasziniert von dem unterirdischen Labyrinth mit seiner fremdartigen Technik. Er brannte darauf, das alles zu untersuchen, und als sie wieder zu den anderen stießen, begann er sofort, sich mit Beryl von Schun darüber zu unterhalten, wo sie anfangen sollten.
Im Augenblick merkte man wenig davon, daß der Marsianer mit den hochmütigen Zügen ein Gefangener und der sehnige, hellhaarige Tiefland-Krieger sein Bewacher war.
Charru mußte lächeln, als er sie die Köpfe zusammenstecken sah. Helder Kerr hatte fürs erste jede Feindseligkeit vergessen. Aber schließlich lag es auch im Interesse der Marsianer, das Geheimnis der Sonnenstadt zu lüften. Kerr mochte sich sagen, daß er irgendwann Gelegenheit zur Flucht finden würde und daß es nicht schaden konnte, so viel Wissen wie möglich zu sammeln.
Charru teilte noch ein paar weitere Gruppen ein, die das Labyrinth erforschen sollten, jeweils unter Führung der Männer, die schon ein wenig mit der Technik der »Terra I« vertraut waren: Hasco, Jerle und Brass, Gerinth und Ayno, der die Akolythen-Robe mit der Lederkleidung der Tiefland-Stämme vertauscht hatte und ein altes Kurzschwert am Gürtel trug. Camelo weigerte sich standhaft, weiter zu den Verletzten gezählt zu werden. Er wollte dabeisein, wenn sie versuchten, die Fremden aus den Hügeln zu finden. Und da er mit dem Einfühlungsvermögen des Sängers begabt war und von jeher eine ausgeprägte Fähigkeit besaß, andere Menschen zu verstehen und zu überzeugen, erklärte sich Charru schließlich einverstanden.
Diesmal war er allerdings entschlossen, kein Risiko einzugehen.
Sie würden sich den Fremden in Frieden nähern, mit einer kleinen Gruppe, aber nicht ohne Rückendeckung. Zwölf Männer in drei Jets, dazu zwei Lasergewehre. Zwölf Männer - das hatte Charru jedenfalls vorausgesetzt, bevor sich Katalin zu Wort meldete.
»Ich möchte mitkommen«, sagte sie ruhig. »Bestimmt haben diese Fremden auch Frauen bei sich, also könnte es helfen, wenn ich dabei bin.«
»Wir haben keine Frauen unter ihnen gesehen«, stellte Karstein fest.
»Vielleicht halten sie sich versteckt. Diese Fremden sind doch irgendwann mit voller Absicht hierher in die Einöde geflohen. Und ich glaube nicht, daß so viele Männer das ohne Frauen tun.«
Charru zögerte.
Katalin hatte das Kinn gehoben, ihre schönen bernsteinfarbenen Augen ließen ihn nicht los. Er dachte daran, was sie ihm damals auf ihrem Krankenlager gesagt hatte, vor Fieber glühend: daß sie ihn schon viele Jahre lang geliebt habe. War das der Grund dafür, daß er ihr auswich, daß er jetzt nach Gründen für eine Ablehnung suchte? Dazu besaß er kein Recht. Katalin hatte mit dem Schwert in der Hand an der Seite der Männer gegen das Priesterheer gekämpft,
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