Söhne der Erde 10 - Aufbruch Ins Gestern
beantworten, die sämtliche Wissenschaftler der Universität eindeutig überforderte. Es war absurd, ein Unding, doch darüber zerbrach sich Jessardin jetzt nicht den Kopf.
Ruhig sah er dem Generalgouverneur der Venus entgegen, der soeben sein Büro betreten hatte.
»Setzen Sie sich, Conal! Ich nehme an, für Sie ist es eine gute Nachricht.«
»Ja«, sagte Nord knapp.
Der Präsident warf ihm einen Blick zu. »Sie haben ein Funkgespräch mit Ihrem Stellvertreter geführt, höre ich?«
»Ja.«
»Tun Sie nichts, was sich nicht wieder rückgängig machen läßt, Conal! Ich war schon einmal bereit, Ihnen entgegenzukommen... «
»Als Sie anboten, die Begnadigung meines Bruders durchzusetzen, ich weiß. Damals habe ich mich geweigert, Privilegien für mich in Anspruch zu nehmen. Heute ist mir klar, daß man es sich zu leicht macht, wenn man im Namen von Prinzipien über das Leben anderer Menschen hinweggeht. Aber ich weiß auch, daß es heute völlig ausgeschlossen wäre, die Begnadigung eines Merkur-Siedlers zu erwirken - selbst die eines alten Mannes wie Raul Madsen. «
Jessardin nickte. »Richtig! Aber in Laras Fall liegen die Dinge anders. Wenn wir sie finden, werde ich von meinen Vollmachten Gebrauch machen und ihre Rückberufung auf die Venus veranlassen. Ich nehme an, das ist in Ihrem Sinne!«
»Danke«, sagte Conal Nord langsam.
»Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Es ist eine Frage der staatspolitischen Vernunft. Sie wären nicht mit dem ersten Schiff von der Venus gekommen, wenn Sie diesmal die gleiche Entscheidung getroffen hätten wie vor zwanzig Jahren. Und die Einheit der Föderation ist wichtiger als die Einhaltung juristischer Vorschriften in einem Einzelfall.«
Conal Nord atmete tief durch.
Dem forschenden Blick des anderen entnahm er, daß das nicht alles war, daß hinter den Worten eine unausgesprochene Frage steckte. Der Venusier beantwortete sie nicht.
»Steht fest, daß Charru von Mornag unter den Gefangenen ist?« wollte er wissen.
»Larsen Kane behauptet es. Warten Sie, ich habe Funkbilder.«
Mit einem Fingerdruck schaltete er einen der Monitore an der Wand ein.
Der Bildschirm leuchtete auf. Die Qualität des Materials war perfekt. Porträtaufnahmen von Männern, die erschöpft und benommen wirkten, weil sie offenbar gerade erst aus der Bewußtlosigkeit erwacht waren.
Einige von ihnen hatte Conal Nord schon persönlich gegenübergestanden: damals, in dem verwüsteten Museumssaal, zwischen den Trümmern des zerstörten Mondsteins. Der rothaarige Gillon von Tareth, der ihm die Spitze seines Schwertes gegen die Kehle gepreßt hatte. Karstein und Kormak, die beiden Nordmänner, die sich schweigend umarmt hatten. Der Junge mit dem Namen Jerle, der blutend und mit Tränen in den Augen nach seinen Eltern, seinen Brüdern suchte...
Der jüngere Mann mit dem roten Haar und den grünen Augen gehörte ebenfalls zur Sippe der Tareth.
Erein hieß er, erinnerte sich der Venusier. Den Namen des nächsten hatte er als Brass in Erinnerung. Ein knochiges, schmerzverzerrtes Gesicht - Konan. Nord machte sich klar, daß er faßt alle Namen kannte, daß sie sich tief in sein Gedächtnis, geprägt hatten, seit ihm bewußt geworden war, daß es sich um die Namen von Menschen handelte, nicht von Protagonisten aus lehrreichen wissenschaftlichen Dokumenten. Sekundenlang starrte er in das wilde, stolze Gesicht mit dem schulterlangen schwarzen Haar und den rebellischen blauen Augen. Der Venusier kannte auch dieses Gesicht. In ein paar Jahren - falls er so lange lebte - würde der Junge seinem Bruder noch viel ähnlicher sein.
»Jarlon von Mornag«, sagte der Venusier ruhig. »Nicht Charru. «
»Also doch! Ich war mir nicht sicher, weil es nach Meinung der Wissenschaftler einfach nicht ins Psychogramm des Fürsten von Mornag paßt, sich bei einem solchen Unternehmen selbst in sicherer Entfernung zu halten. «
Es sei denn, er hat einen sehr triftigen Grund dafür, dachte Conal Nord.
Die »Terra«?
War es möglich, daß die Barbaren, vielleicht mit Hilfe Helder Kerrs, viel mehr erreicht hatten, als irgend jemand ahnte? Daß sie tatsächlich die Voraussetzungen dafür geschaffen hatten, den Mars zu verlassen? Und daß Charru derjenige war, der das Schiff fliegen sollte?
Unsinn, sagte sich Conal Nord.
Wie nahe seine Spekulationen der Wahrheit kamen, konnte er nicht ahnen.
*
Die Stille war so tief, daß man ein Sandkorn hätte fallen hören können.
Steif kletterte Charru aus dem Jet. Helder Kerrs Blick
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