Söhne der Erde 13 - Der Tod Am Meer
Jedenfalls würde er die taumelnde Gestalt nicht mehr aus den Augen verlieren. Wieder irrte sein Blick über die geborstenen Mauern, und diesmal war er fast sicher, zwischen den Trümmern verstohlene, huschende Bewegungen zu erkennen.
Ratten!
Die Ratten der toten Stadt verließen ihre Kellerlöcher.
»Schaoli!« schrie Jarlon noch einmal, und dabei hatte er das Gefühl, als ziehe sich eine unbarmherzig würgende Schlinge um seine Kehle zusammen.
*
Camelo von Landre schloß sekundenlang die Augen, bevor er den Kommunikator einschaltete. Seine Stimme zitterte, ohne daß er etwas dagegen tun konnte.
»Kommandant an alle! Ich wiederhole! An alle! Dies ist kein Notfall, aber wir haben die Alarmkommunikation eingeschaltet, damit jeder zuhört. Geht bitte an eure Plätze und teilt euch in Gruppen ein! Ich warte fünf Minuten, bevor ich mich wieder melde. Kein Grund zur Beunruhigung! Es ist kein Notfall, sondern eine gute Nachricht!«
Er lächelte, als er zu Beryl von Schun hinübersah.
An der Bildwand waren sämtliche Monitoren aufgeflammt.
Für Fälle wie diesen hatten sie einen genauen Plan aufgestellt.
Jeder der Tiefland-Krieger, der jüngeren Frauen und der zuverlässigen Männer des Tempeltals war für eine bestimmte Gruppe von Kindern, Alten und Schwachen verantwortlich, hatte sich darum zu kümmern, daß alle zuhörten und die Anweisungen befolgten. Camelos Blick wanderte über die Monitoren, die verschiedene Räume des Schiffs zeigten. Der große Frachtraum, der als allgemeiner Versammlungsort diente. Das Kontrolldeck, wo sich diejenigen zusammenfanden, die neben Camelo und Beryl am meisten von der Technik der »Terra« verstanden. Die Computerzentrale war verwaist. Den Gefechtsstand besetzten Gillon von Tareth und Hasco, genau nach dem festgelegten Alarmplan, obwohl Camelo von einer guten Nachricht gesprochen hatte. In dem provisorischen Lazarett stützte sich Konan, der immer noch unter den Nachwirkungen der schweren Laser-Verbrennungen litt, von der Schlafmulde hoch, und Indred von Dalarme legte den Arm um die Schultern ihrer vierzehnjährigen Enkelin, der kleinen Cori.
Beryl schaltete einen der Monitoren um und verzog die Lippen, als er die feindseligen Gesichter der Priester sah, die nur widerwillig die Anwesenheit von Hardan und Leif duldeten.
Ungerührt erwiderten die beiden stämmigen Nordmänner die wütenden Blicke. Sie wußten, daß Bar Nergal und seine Anhänger dazu neigten, in kritischen Situationen Gebete und Beschwörungen zu heulen, statt vernünftige Anweisungen zu befolgen. Hardan und Leif hatten den Auftrag, sich um die Priester zu kümmern, und davon würde nichts und niemand sie abbringen.
Camelo wartete noch zwei Minuten, dann schaltete er sich wieder in die Kommunikation ein.
»Wir werden landen, sobald ich das Beiboot erreichen und mir die Koordinaten für den Anflug geben lassen kann«, verkündete er. »Jeder von euch weiß, was er zu tun hat. Gillon, Hasco und Katalin werden sämtliche Andruck-Liegen kontrollieren und später in die Kanzel kommen. Wir gehen auf einem ehemaligen Raumhafen herunter, also ist die Gefahr nicht besonders groß.« Er biß sich auf die Lippen und versuchte, an seine eigenen Worte zu glauben. »Es gibt dort unten am Meer eine herrliche Oase«, fuhr er fort. »Wälder, Wiesen und Felder, sauberes Wasser, fruchtbaren Boden und friedliche Menschen! Wir werden dort eine neue Heimat finden. Heute!«
Für Sekunden schienen die Bilder auf den Monitoren erstarrt, als habe ein unsichtbarer Bann die Menschen getroffen.
Die Kinder waren die ersten, die den vollen Sinn der Worte begriffen. Und sie zögerten nicht, ihnen Glauben zu schenken. Jubel erhob sich. Der Zubel von Kinderstimmen, in den binnen Sekunden auch die Erwachsenen einfielen. Über das stille, blasse Gesicht des kleinen Robin rannen lautlos Tränen, während er sich an Katalins Hand klammerte.
Dayel und Jerle fielen sich in die Arme, als hätte nicht noch vor kurzem erbitterte Feindschaft zwischen ihnen geherrscht. Selbst die Gesichter der Priester spiegelten jähe Erregung. Die Menschen umarmten sich, schüttelten sich die Hände, schlugen sich auf die Schultern und machten den Eindruck, als ob sie lachten, weinten, beteten - und das alles in einem Atemzug.
Beryl warf Camelo einen Blick zu.
Einen forschenden, mitfühlenden Blick. Camelo hielt die Augen geschlossen, als wolle er den Jubel nicht sehen. Er wußte, daß in wenigen Minuten, vielleicht in einer Stunde, das Leben jedes einzelnen
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