Söhne der Erde 16 - Der Riß In Der Welt
doch ihm genügte der Haß, den er mit jeder Faser spürte.
Er packte den schmalen Dolch fester.
Auf leisen Sohlen huschte er zu dem ehemaligen Lagerhaus hinüber. Licht schimmerte durch die schmalen Fensterluken und ein paar Risse in den Wänden. Der Junge kannte das Gebäude, kannte vor allem das vielfältige, nur zum Teil zerstörte Netz von Schächten und Rohren, das es mit der Umgebung verband. Noch einmal sah Che sorgfältig in die Runde, ließ den Blick über die Ruinenfelder gleiten, über die silbernen Flugzeuge, die jetzt nicht mehr versteckt werden mußten, über die anderen Schuppen und Hallen, in deren Kellergewölben noch so viele unbekannte Waffen ruhten. Waffen einer längst verschollenen Rasse. Der gleichen Rasse, die vor langer Zeit all das erbaut hatte, was jetzt in Trümmern lag, die mit ihren Waffen den eigenen Untergang heraufbeschworen hatte. Che wußte, daß er im Recht war, wenn er glaubte, daß es nur Unheil bringen konnte, an diesen Dingen zu rühren. Aber er wußte auch, daß Recht und Unrecht für die Fremden von den Sternen keine Rolle spielten. Wenn man sich gegen sie auflehnen wollte, gab es nur einen Weg ...
Widerstrebend löste der junge Mann die Finger vom Griff des Dolchs und duckte sich in den Schatten einer schräg über Steintrümmern liegenden Betonplatte.
Geschmeidig wie eine Schlange kroch er über den Boden, bis seine Hände den Einstieg in eine der Röhren ertasteten, die das ganze riesige Trümmerfeld durchzogen und deren ursprünglichen Zweck niemand mehr kannte. Glitschige Algen bedeckten die Innenwände, Che hörte das Schmatzen von Schlamm unter seinem Körper. Minuten später erreichte er einen halb verfallenen Keller, richtete sich auf und lauschte.
Monotoner Singsang.
Gebete und Beschwörungen in der Sprache der Götter, endlose Litaneien, deren Sinn Che nicht verstand. An wen richteten sie sich? Wer mochte es sein, dem selbst die Fremden von den Sternen dienten? Che ahnte nicht, daß Bar Nergals Anhänger es nicht einmal selbst wußten. Die schwarzen Götter hatten nie existiert außer in der Gestalt verkleideter marsianischer Wachmänner. Die »wahren Götter,« die der Oberpriester jetzt an ihre Stelle setzte, blieben ungreifbare Schemen, seiner Phantasie entsprungen, weil er sie als Rechtfertigung für seine Herrschaft brauchte.
Vorsichtig kletterte Che über einen Schuttberg, bis er mit den Fingern ein Loch in der Decke erreichen konnte.
Der monotone Singsang wurde lauter, als sich der Junge geschmeidig hochzog. Nur noch eine schief in den Angeln hängende Tür trennte ihn von der Halle, in der sich die Priester aufhielten. Che zögerte. Furcht überkam ihn. Aber dann hörte er Bar Nergals krächzende Greisenstimme, und der Haß erwachte von neuem.
Lautlos zog er die Tür auf.
Fackeln und eine fahle Energiezellen-Lampe erhellten den großen Raum. Priester, Akolythen und Tempeltal-Leute kauerten am Boden und intonierten mit entrückten Gesichtern ihre Gesänge. Aber Ches unverbildete Sinne spürten, daß ein Teil dieses fast trancehaften Zustandes nur geheuchelt war. Das kleine Grüppchen hatte sich Bar Nergal aus Furcht davor angeschlossen, zusammen mit den Menschen aus der »Terra« von den Marsianern umgebracht zu werden, nicht aus Furcht vor den »wahren Göttern.« Sie beteten, weil es ihnen befohlen wurde. Sie gehorchten, weil es keinen Ausweg mehr für sie gab, weil sie nirgendwohin fliehen konnten, weil sie hoffnungslos in der Falle saßen.
Nur die vier Priester in den schwarzen Kutten der höchsten Kaste genossen ihre Machtstellung.
Ches Blick heftete sich auf Zai-Caroc, der ständig das Lasergewehr trug. Die zweite Waffe, von den Tiefland-Kriegern erbeutet, war irgendwo versteckt. Einen Moment lang erwog Che, in das nächste unterirdische Gewölbe zu schleichen und eine der Sprenggranaten zu benutzen. Dann schüttelte er unbewußt den Kopf. Die Erinnerung an zerfetzte Körper, Blut und Geschrei überwältigte ihn. Der Dolch war sicherer, war eine saubere Waffe.
Mit gespannten Muskeln schlich der Junge an der Wand entlang, tief hinter Gerümpel und alle möglichen Behältnisse geduckt, die sich dort stapelten. Bar Nergal wandte ihm den Rücken. Hoch aufgerichtet stand er da, mit weit ausgebreiteten Armen, im Vollgefühl seiner Macht - und der Anblick löschte Ches letzte Hemmung davor aus, seinen Gegner hinterrücks zu töten.
Blitzartig federte der Junge aus seiner Deckung.
Der Dolch lag in seiner Rechten. Mit einem Sprung überwand er
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