Söhne der Erde 17 - Gefangene Der Zeit
Gedanken versunken, doch das täuschte. Er grübelte nicht über seine Lage nach. Er dachte überhaupt nicht. Sein Gehirn war leer, und seine einzige Empfindung bestand in einem vagen Wohlgefühl, das keinen äußeren Anlaß hatte.
Er lag gern hier.
Er ging auch gern durch die hallenden Flure, wenn man es ihm befahl, und er ließ sich gern den Tests und Experimenten unterziehen. Es gab keinen Grund, sich dagegen aufzulehnen, denn der Mann glaubte fest, daß man es gut mit ihm meinte. Es gab auch keinen Grund, diesen Ort verlassen und sein Leben ändern zu wollen. Es gab überhaupt keinen Grund zu irgend etwas. Es gab nur Ruhe, Gleichmaß und das Gefühl eines tiefen Friedens.
Ein vages Lächeln huschte über das leere Gesicht des Mannes, als er die Schritte draußen auf dem Flur hörte.
»Komm mit«, sagte eine ausdruckslose Stimme.
Der Mann glitt ohne Widerspruch von seiner Pritsche und setzte sich zufrieden und gehorsam in Bewegung.
*
Breite Lederriemen fesselten Charrus Oberkörper an den weißen Schalensitz.
Er hatte sich nicht gewehrt. Erstens wäre es sinnlos gewesen, allein gegen die Übermacht anzugehen, zweitens befürchtete er, daß die Fremden durchaus bereit waren, ihre Drohung wahrzumachen und Jarlon umzubringen. Was immer sie hier taten, was immer sie planten - Charru spürte genau, daß sie eiskalt und skrupellos handelten und daß ein Menschenleben ihnen nichts bedeutete.
Zwei blasse, schweigsame Männer in weißen Kitteln bewachten den Raum.
Nebenan erklangen Stimmen. Jemand gab Befehle und stellte Fragen, die nur als undeutliches Gemurmel herüberdrangen. Ein anderer - kein Terraner - antwortete leise und monoton. Ein paarmal konnte Charru ihn durch die offene Tür sehen: eine hochgewachsene Gestalt in abgetragener Kleidung, die um den mageren Körper schlotterte, ein merkwürdig leeres Gesicht. Charru begriff instinktiv, daß dieser Mann nicht zu den Fremden gehörte, daß auch er ein Opfer war. Aber er machte nicht den Eindruck, unter Wahrheitsdrogen zu stehen, nicht nach dem, was Gillon über dieses Teufelszeug erzählt hatte. Die leeren Augen, das bereitwillige Lächeln, die Haltung und die Gesten, mit denen er reagierte - das alles war anders, wirkte völlig ungezwungen und zugleich unnatürlich, gemahnte an ein perfektes Bild, dem der Lebensfunke fehlte.
Der Blick des Mannes glitt uninteressiert über das gefesselte Opfer auf dem Schalensitz hinweg, als er wenig später zwischen zwei Weißbekittelten durch den Raum schritt und hinter einer weiteren Tür verschwand.
Nur einer der Fremden blieb zurück: der Hagere, den Charru in der Klinik niedergeschlagen hatte.
Er trug ein Pflaster auf der hohen, bleichen Stirn, in seinen schwarzen, zusammengekniffenen Augen lag eine Mischung aus Wut und Verständnislosigkeit, als er hinter dem weißen Kunststoff-Schreibtisch Platz nahm und sich zurücklehnte.
»Mein Name ist Jordan Magner«, sagte er mit neutraler Stimme. »Du heißt Charru von Mornag und bist angeblich der Anführer dieser Wilden, die mit dir auf der Insel gelandet sind. Damit du Bescheid weißt: Ich habe ein Dutzend von euch unter Wahrheitsdrogen gesetzt und vernehmen lassen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, das nicht jeder Vernunft Hohn spräche. Du bist bei klarem Bewußtsein, wie du siehst. Ich hoffe in deinem eigenen Interesse, daß ich bei dir auf diese Art zu einem befriedigenden Ergebnis komme.«
Charru antwortete nicht.
Flüchtig fragte er sich, wieviel seine Gefährten erzählt haben mochten. Hatten sie von Ktaramon gesprochen? Von der Möglichkeit, in eine Zeit zurückzukehren, die für Magner und seine Leute in der Zukunft lag? Wahrscheinlich nicht. Die Fremden schienen sich jedenfalls nicht im mindesten für den Zeitkristall zu interessieren, den Charru um den Hals trug.
»Hast du den Mann gesehen, der hier eben vorbeigegangen ist?« fragte Jordan Magner nach einem kurzen Schweigen.
Charru straffte die Schultern.
Der Anblick des Unbekannten mit den leeren Augen hatte eine vage Erinnerung in ihm geweckt. Jetzt wußte er plötzlich, was es gewesen war. Die Erinnerung an die alten Marsstämme! Hunons Volk, dessen uralte Kultur von den irdischen Flüchtlingen zerstört worden war und das seit Jahrhunderten willenlos in Reservaten vegetierte.
»Eine Marionette«, sagte Charru. »Ein Mensch, dem ihr mit Drogen oder auf irgendeine andere Weise Willen und Persönlichkeit genommen habt.«
Magner hob die Brauen. Überraschung malte sich in seinen Zügen. Er brauchte
Weitere Kostenlose Bücher