Söhne der Erde 22 - Flug der Verlorenen
kahlen Zelle bevorstand.
Er selbst, das wußte er ebenfalls, hatte zumindest eine Chance, davon ausgenommen zu bleiben. Eine Chance, die er nicht wollte, die ihm als bitterer Hohn erschien. Der Gedanke war ihm unerträglich, vielleicht allein hier zurückzubleiben. Charru und Camelo würden bestimmt unter den Opfern sein. Genau wie Mark und Ken Jarel, wie Raul Madsen und Kormak, wie Gerinth, Gillon und viele andere, die in den Zellen des Schiffs ihr Schicksal erwarteten.
»Wie lange noch?« fragte Jarlon aus seinem dumpfen Brüten heraus. Und als niemand antwortete: »Warum wollt ihr mir etwas verschweigen, das ich sowieso erfahre? Oder - oder ist es noch nicht sicher?«
Charrus Blick wanderte zu Mark Nord hinüber. Der Venusier zog wie fröstelnd die Schultern zusammen.
»Nein, es ist nicht sicher«, sagte er. »Wir sitzen jetzt schon einen Halben Tag hier. Kane läßt sich Zeit. Und wenn mein Bruder früh genug erfährt, was sich abspielt, wird er etwas dagegen unternehmen.«
»Er hat auch den Angriff auf Merkur nicht verhindert«, knurrte Kormak.
»Das war etwas anderes. Wir stellten eine bewaffnete Macht dar, jetzt sind wir Gefangene. Kein vernünftiger Mensch kann mehr eine Gefahr in uns sehen.«
Niemand widersprach.
Marks Worte waren in erster Linie für Jarlon bestimmt. Der Junge grub die Zähne in die Unterlippe. Angst zeichnete sein schmales bronzenes Gesicht. Er glich seinem Bruder, und die Ereignisse der Vergangenheit hatten ihn vorzeitig zum Mann gemacht. Aber jetzt verrieten Hilflosigkeit und Verzweiflung in seinen Zügen, daß er nicht nur den Jahren nach fast noch ein Kind war.
Als er das scharfe Schnappen des Entriegelungsmechanismus hörte, zuckte er heftig zusammen.
Die Tür glitt auseinander. Ein halbes Dutzend Soldaten in schwarzen Uniformen blickte sich rasch in der Zelle um. Charru sah die leichten Handwaffen in ihren Fäusten. Betäubungspistolen. Es war sinnlos, Widerstand zu leisten, würde nur dazu führen, daß die Delinquenten unter Drogen gesetzt wurden. Und keiner von ihnen wollte als willenlose Marionette in den Tod gehen.
Das Gesicht des marsianischen Offiziers blieb unbewegt.
»Kommen Sie einzeln heraus und leisten Sie keinen Widerstand«, befahl er. »Mark Nord, Ken Jarel, Charru von Mornag, Camelo von Landre.«
Jarlon war aufgesprungen und sog scharf die Luft durch die Zähne.
Kormak legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Die Namen des Nordmanns, Yatturs und Raul Madsens waren nicht gefallen. Zuerst die Anführer, dachte Charru bitter. Diejenigen, die der General so schnell wie möglich aus dem Weg haben wollte, weil er noch ein Verzweiflungsunternehmen von ihnen befürchtete... Die Haltung der Marsianer spannte sich, ihre Finger schlossen sich fester um die Waffen.
Jarlons Lippen zuckten, als Charru ihn schweigend umarmte. Für einen kurzen Augenblick brach die Beherrschung des Jungen, preßte er mit einem erstickten Stöhnen das Gesicht an die Schulter seines Bruders. Dann straffte sich Jarlons Haltung, und er stand starr, wie versteinert, während sich die anderen Männer stumm die Hände reichten.
Mit einem endgültigen Laut schloß sich die Tür.
Charru und Camelo, Mark und Ken Jarel schritten vor ihren Bewachern her durch den stählernen Gang. Sie wußten nicht, zu welchem Teil des gigantischen Schiffs der Raum gehörte, in den sie gebracht wurden. Ein Raum, der binnen Sekunden unter Betäubungsgas gesetzt werden konnte, wie der marsianische Offizier erklärte. Aber den Gefangenen war auch so klar, daß jeder Widerstand zwecklos gewesen wäre.
Drei weitere Männer warteten bereits: Gerinth, der graubärtige Scollon als Anführer der Tempeltal-Leute und Dane Farr, dessen Verletzung sich offenbar als relativ harmlos herausgestellt hatte.
Oder den Kane für besonders gefährlich hielt, wie sich Charru in Gedanken verbesserte, als er das blasse, schweißbedeckte Gesicht des hageren Militär-Experten sah. Karstein und Gillon von Tareth kamen ein paar Minuten später dazu. Einer nach dem anderen wurde durch die Tür in einen Nebenraum dirigiert, einzeln und jeweils in kurzen Abständen.
Irgendeine Formalität, vermutete Charru. Eine Art Tribunal vielleicht. Er kam als vorletzter an die Reihe. Sein Blick glitt über die bewaffneten Uniformierten an den Wänden und die beiden Offiziere, von denen einer damit beschäftigt war, Daten in einen Computer-Terminal einzuspeisen. Charru kannte keinen der beiden. Was hier geschah, war offenbar nur noch Routine, um
Weitere Kostenlose Bücher