Söhne der Erde 22 - Flug der Verlorenen
schüttelte die Hand des Uniformierten ab, der sie an der Schulter zurückgehalten hatte.
»Was wird jetzt passieren, General?« fragte sie mit ihrer klaren Stimme. »Was haben Sie mit uns vor?«
Kane zog irritiert die Brauen zusammen.
Er wußte nicht warum, aber er fühlte sich außerstande, diesen hellen Augen auszuweichen. Unsicher blieb er stehen und furchte die Stirn.
»Ihnen wird nichts geschehen«, sagte er fast gegen seinen Willen.
»Und den anderen? Den Männern?«
»Merkur steht unter Kriegsrecht«, sagte Manes Kane knapp.
»Und was heißt das?«
Der weißhaarige General preßte die Lippen zusammen. Er hatte keine Wahl. Seiner Meinung nach gab es keine andere Möglichkeit, als nach dem Buchstaben der Gesetze zu verfahren - jener marsianischen Gesetze, die im Falle eines Krieges den sofortigen Tod gefangener Gegner vorsahen. Aber in diesen Sekunden wünschte sich Kane daß es anders wäre, obwohl er den Grund dazu selbst nicht, begriff.
»Ich nehme an, Sie wissen sehr gut, daß mir nach dem Kriegsrecht nichts anderes übrigbleibt, als die unverletzten Gefangenen zu liquidieren«, sagte er steif.
Katalin starrte ihn an: »Das heißt, Sie werden sie töten? Charru, Mark - alle?«
»Sie wußten, was sie taten. Das Gesetz läßt mir keine andere Möglichkeit, als...«
»Sie Teufel!« flüsterte Katalin mit bleichen Lippen. »Sie gemeiner, niederträchtiger Teufel!«
»Kümmern Sie sich um sich selbst«, sagte General Kane scharf. »Oder gehören Sie ebenfalls zu den Rädelsführern? Ich habe mir sagen lassen, daß in Ihrer Gesellschaft Frauen den Männern durchaus gleichgestellt sind.«
Katalin verstand die Drohung.
Ihr Herz hämmerte. Furcht schnürte ihr die Kehle zu, als sie in das Gesicht des weißhaarigen alten Mannes starrte. Aber zugleich wußte sie, daß sie sich nichts sehnlicher wünschte, als an Mark Nords Seite zu stehen - was immer auch geschehen mochte.
»Ja«, sagte sie klar und deutlich. »Ja, ich gehöre zu den Rädelsführern. Ich bin die Sprecherin unserer Frauen. Und Sie dürfen mir glauben, daß ich alles getan habe, um die Männer zu diesem letzten Kampf zu bewegen und sie zu unterstützen. «
*
Conal Nord zuckte zusammen, als er die Suite seiner Tochter leer fand.
Sie war fort, hatte auch das Kind mitgenommen. Einen Augenblick spürte der Venusier Angst. Dann sagte er sich, daß es nichts gab, was Lara unternehmen, keinen Ort, an den sie gehen konnte. Keinen außer seiner eigenen Suite, wo sie mit Hilfe seiner Kennung und der Code-Zahlen die Möglichkeit hatte, über das regierungsinterne Kommunikationsnetz Geheiminformationen abzurufen.
Er war nicht überrascht, sie am Lesegerät zu finden - das Kind auf den Armen, das mit seinen saphirblauen Augen neugierig in die Welt blickte.
»Du hättest das nicht tun sollen, Lara«, sagte der Venusier leise. »Du weißt genau, in welche Schwierigkeiten du mich bringst, wenn es bekannt wird.«
Sie fuhr herum.
Er wußte, daß sie das Argument akzeptierte. Sie hatte nie versucht, seinen Namen und seine Position auszunützen. Aber . jetzt spiegelte ihr schmales, schönes Gesicht ein Entsetzen, das alles andere gegenstandslos machte.
»Lara...«
»Ich habe das interne Informationsnetz angezapft. Ich habe deine Kennung und die Codezahlen benutzt und... «
»Ich weiß«, sagte der Venusier.
»Vater! General Kane hat das Kriegsrecht über Merkur verhängt und will sämtliche Gefangenen liquidieren. Hast du das gewußt? Sag' es mir, Vater! Hast du es gewußt?«
Conal Nord schloß die Augen.
Liquidieren, klang es in ihm nach. Sämtliche Gefangenen liquidieren...
Nein, er hatte es nicht gewußt. Aber er hätte es wissen müssen. Er kannte das marsianische Kriegsrecht und er kannte General Kane.
»Ist das sicher?« fragte der Generalgouverneur.
»Ja«, flüsterte Lara. »Charru und Onkel Mark leben. Offenbar hat es nicht so viele Tote gegeben, wie General Kane zuerst dachte. Und jetzt will er die Überlebenden umbringen, Vater! Einfach umbringen!«
Ihre Stimme brach.
Das Kind auf ihrem Arm regte sich, wurde unruhig, begann leise zu weinen. Lara streichelte mechanisch den dunklen Kopf des Kleinen.
»Du mußt etwas tun«, sagte sie tonlos. »Du mußt, Vater! Damals, als über den Angriff auf Merkur abgestimmt wurde, hast du dich geweigert, mit dem Bruch zwischen Venus und Mars zu drohen. Du sagtest, du könntest so oder so nichts verhindern. Du wolltest nicht all deinen Einfluß verlieren, weil du glaubtest, daß dieser Einfluß
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