Söhne der Erde 22 - Flug der Verlorenen
die sich General Kane nicht persönlich kümmerte.
»Sie sind Charru von Mornag?« fragte der Uniformierte, der die Leitung der Prozedur hatte.
»Ja.«
»Sie haben sich der marsianischen Armee mit Waffengewalt widersetzt. Bestreiten Sie das?«
»Nein. «
»Aufgrund der gültigen gesetzlichen Vorschriften sind Sie als Kriegsgefangener zu liquidieren. Fesseln und abführen!«
Zwei Soldaten befolgten den Befehl.
Charru wehrte sich nicht, weil er wußte, daß er keine Chance hatte. Die Kühle der breiten, elastischen Kunststoffbänder, die seine Handgelenke auf den Rücken fesselten, jagte ihm einen Schauer über die Haut. Mit zusammengebissenen Zähnen ging er zwischen seinen Bewachern durch einen weiteren Korridor. Er dachte an den Kliniktrakt der »Sirius«, an die kalte, unmenschliche Mechanik des Sterbens, die er auf dem Mars gesehen hatte. Aber das Kriegsrecht, dessen Gesetze General Kane buchstabengetreu befolgte, sah offenbar eine solche Art der Liquidierung nicht vor. Charru atmete auf, als er begriff, daß er nicht in einen Operationssaal, sondern zum Schleusenschott des Schiffsgiganten gebracht wurde.
Draußen in der glühenden Hitze waren nur noch wenige Marsianer mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Charru sah sich um, doch er konnte seine Gefährten nirgends entdecken. Die beiden Uniformierten trieben ihn an den gelandeten, aber noch nicht wieder eingeschleusten Beibooten vorbei, ein Stück über die Ebene, bis zu einer Felsenbarriere, die eine flache Mulde gegen die Sicht von den Schiffen her schützte. Auch hier standen ein paar Beiboote. Die Marsianer hatten ihre Gefangenen gezwungen, sich am Rand der Senke aufzustellen. Und ihnen gegenüber, wie ein makabres Spiegelbild, verharrte eine Reihe schwarz uniformierter Soldaten, deren Lasergewehre im Moment noch auf den Boden zielten.
Charru brauchte einen Augenblick, um die Bedeutung der Szene zu erfassen.
Die seelenlose Mechanik der Liquidations-Zentrale in Kadnos war ihm schon unbegreiflich genug gewesen. Hier dagegen wurden Menschen gezwungen, mit den Lasergewehren wehrlose, gefesselte Männer niederzuschießen, die ihnen Auge in Auge gegenüberstanden. Ein Vorgang, der Charru so fremd war, so völlig außerhalb seiner Vorstellungskraft lag, daß er auch in den Soldaten, die das tun mußten, nichts anderes als Opfer sehen konnte.
Schweigend trat er neben Camelo und warf das Haar zurück.
Nur Gerinth fehlte noch. Charru preßte die Lippen zusammen, sah über die schwarz uniformierten Gestalten hinweg und starrte hinaus in die hitzeflimmernde Ebene.
Ganz kurz glaubte er, zwischen den Felsen einen Lichtreflex aufblitzen zu sehen, ein Fernglas vielleicht, aber er war seiner Sache nicht sicher.
*
Präsident Jessardin stand am Fenster und blickte durch die weißen Filterstäbe.
Unter dem Silberstoff des glatten einteiligen Anzugs wirkten seine Schultern kantig. Die Hände hatte er auf dem Rücken ineinander verschränkt.
»Sie haben es also doch getan«, sagte er langsam.
Conal Nords Stimme blieb ausdruckslos. »Ich habe lediglich von meinem gesetzmäßigen Recht Gebrauch gemacht, dem venusischen Rat über Funk eine Beschlußvorlage zu übermitteln. Die Entscheidung ist einstimmig gefallen, wie Sie aus der Protestnote ersehen. «
»Und was der venusische Rat zu tun gedenkt, wenn sein Protest unberücksichtigt bleibt, ist zu diplomatisch formuliert, um illegale separatistische Bestrebungen herauszulesen«, sagte Jessardin mit einem sarkastischen Unterton. »Man behält sich 'weitere Schritte' vor. Sie und ich wissen, daß das ein schlichtes Erpressungsmanöver ist, Conal. «
»Sie können mir nicht zum Vorwurf machen, daß ich das Leben meines Bruders zu retten versuche. Und Sie wissen, daß ich es nicht tun würde, wenn ich nicht überzeugt wäre, das Recht auf meiner Seite zu haben. «
»Das Recht ist auf Kanes Seite. Eindeutig. «
»Was ich bestreite«, sagte der Generalgouverneur ruhig. »Ich habe, von meinem Bruder einmal ganz abgesehen, die Interessen der venusischen Bürger auf Merkur zu wahren. Sie sind keine feindlichen Soldaten, sondern entflohene Sträflinge. Juristisch war der Einsatz des Flottenverbandes keine militärische, sondern eine polizeiliche Aktion.«
»Spitzfindigkeiten«, sagte Jessardin ungeduldig. »Ich bin Jurist, Simon, vergessen Sie das nicht. Sie wissen, daß diese Spitzfindigkeiten der Wahrheit entsprechen. Das Kriegsrecht ist nur auf einen Personenkreis anwendbar, der außerhalb der marsianischen Gesetze
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