Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
ablehnte? Ist dein Stolz so groß? Du scheinst eher ein Gockel, denn ein Vampir zu sein.«
»So redest du nicht mit mir! Du wirst sofort mit mir kommen.«
Mica machte einen Schritt auf sie zu, und flink brachte sie sich hinter einer Ritterrüstung in Deckung.
»Du willst ihn mir nehmen. Denke bloß nicht, dass ich zu dir zurückkehre. Du bekommst mich nicht. Wenn Cassian stirbt springe ich vom Dach, und ich stehe nicht wieder auf, so wie du aufgestanden bist!«
»Du hast keine Ahnung, wem du dein Herz geschenkt hast, Kind. Cassian ist nicht nur ein Werwolf, er ist ein Alpha. Du kennst nur das von ihm, was er dir gezeigt hat. Du setzt dich einer viel zu großen Gefahr aus, wenn du hier bleibst. Ob sie nun siegen oder nicht.«
»Du willst nicht begreifen, dass deine Einflüsterungen an mir fehlschlagen, Mica.«
»Kind …«
»Nenne mich nicht Kind! Wäre ich wahrhaftig dein Kind, besäße ich deine Kraft und würde sie dazu nutzen, dir einen Dolch in den Leib zu treiben und ihn in deinem Herzen umzudrehen! Du lässt diejenigen im Stich, mit denen du einst ein Bündnis geschlossen hast. Das ist niederträchtig.«
Florine besaß eine Waffe gegen ihn und setzte sie ein. Ihre Verachtung traf ihn wie ein kalter Windstoß. Er machte einen langen Schritt auf sie zu und zeigte ihr seine Fänge. Anstatt ihr Heil in der Flucht zu suchen, blieb sie stehen. Ohne mit der Wimper zu zucken begegnete sie seinem Fauchen.
»Ich nenne dich Kind, weil du mein Kind bist. Deine Mutter, Marie Brel, war drei Jahre an meiner Seite. Sie teilte alles mit mir. Das Einzige, was sie mehr liebte als mich, warst du – unsere Tochter! Und ich werde nicht zulassen, dass du aus Eigensinn und Dummheit dein Leben verwirkst! Ist das jetzt klar?«
Micas laute Stimme scheuchte die verbliebenen Frauen im Haus in die hintersten Winkel, und Florine plumpste vor ihm auf die unterste Treppenstufe, als habe sein Ausbruch sie der Kraft ihrer Beine beraubt. Endlich schien sie es zu akzeptieren.
»Die Frau auf all den Gemälden … sie ist wirklich meine Mutter, nicht wahr? Sie ist meine Maman.« Ihre Stimme mündete in einem schwachen Kieksen.
»Marie war meine Frau. Wir hatten nur wenige glückliche Jahre. Aber ich habe ein Kind mit ihr, ein letztes Geschenk, das mich an sie erinnert. Dich«, erwiderte er und ging vor ihr in die Hocke. »Du warst wenige Wochen alt, als drei Namenlose mein Haus überfielen. Es geschah eine Stunde vor Einbruch der Nacht, und ich konnte nicht einschreiten. Wir erwarteten keinen Angriff. Deine Mutter war bei Tage oft mit dir im oberen Teil des Hauses und wollte dich schützen. Sie half dem Kindermädchen mit dir zu entkommen und blieb selbst zurück um euch einen Vorsprung zu verschaffen. Ich wusste lange Jahre nicht, dass es der Frau gelungen ist, dich in Sicherheit zu bringen, ehe die Namenlosen sie einholten und zerfleischten.«
»Dann war sie es, die mich in der Kirche Saint-Julien-Le-Pauvre ablegte«, murmelte Florine.
»Wenn ich davon gewusst hätte …«
Sie starrte vor sich hin. Ihre Augen schimmerten feucht. Mit dem Handrücken wischte sie darüber und zog undamenhaft die Nase hoch. Aus ihrem leisen Murmeln glaubte Mica so etwas wie, jetzt ist keine Zeit dazu, herauszuhören. Ihr Blick klärte sich.
»Ich bin das Kind eines Vampirs. Eines mächtigen, unsterblichen Geschöpfs, dessen Kraft übermenschlich ist.«
»So kann man es ausdrücken, ja. Obwohl du nicht …«
Wieder ließ sie ihn nicht ausreden. Sie sprang von den Stufen auf. »Warte hier.«
Mica sah ihr nach, als sie davon stakste. Mit einem so schnellen Gesinnungswechsel hatte er nicht gerechnet. Seine Erleichterung wurde größer je länger er warten musste. Ohne Zweifel packte sie einiges an Habe zusammen. Womit sie allerdings zurückkehrte, war ein Schwert, das viel zu schwer für sie war. Sie schleifte es hinter sich her. Die Scheide schabte über das Bodenmosaik.
»Wenn ich wirklich dein Kind bin, kann ich kämpfen. Und wenn du wahrhaftig mein Vater sein willst, so wirst du mir dabei helfen!«
Vor achtzehn Jahren hatte ein winziges Menschenkind in seiner Armbeuge gelegen, und jetzt, groß geworden und erwachsen, leugnete es jegliche menschliche Schwäche und wollte mit einem Schwert in den Kampf ziehen, das sie nicht einmal heben konnte. Daran scheiterten schlichtweg alle Argumente. Mica riss ihr die Waffe aus der Hand und nahm sie an sich.
»Ich bin dein Vater, und wenn du es unbedingt willst, so werde ich dir die Augen öffnen«, knurrte
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