Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
in denen fremder Sippen. Sein Gebiet erstreckte sich von Wien bis über die Alpen nach Rom. Sein Leichtsinn trug ihm Blessuren oder harsche Predigten ein. Mehr wagten die Oberhäupter der anderen Sippen nicht. Juvenal übertraf sie alle an Alter und Kraft, und keiner wollte ihn sich zum Feind machen.
»Saint-Germain hat uns den Fehdehandschuh hingeworfen«, sagte Ruben. »Es ist der erste Übergriff seit langer Zeit. Wir müssen darauf reagieren.«
»Saint-Germain ist ein Handlanger, der zur Eigenmächtigkeit neigt. Umso beschämender ist es, dass er imstande war, dich in eine Falle zu locken und in Ketten zu legen, Cassian!«
Allein der Versuch es zu erklären, würde Juvenal in seiner Ansicht über Cassians Geisteszustand bestätigen. Eine Frau war der Lockvogel gewesen. Das musste er nicht noch zugeben. Eine schöne, wohlriechende Frau. Cassian betrachtete seine Hände und rieb über seine Handgelenke, obwohl die Spuren der Eisen nicht mehr zu sehen waren. Juvenal kehrte sich vom Fenster ab und taxierte seine Söhne.
»Von nun an werdet ihr eure verdammten Triebe zügeln. Was ihr mit eurem Leben anstellt, interessiert mich nicht, solange ihr begreift, dass eine Ablenkung in den nächsten Wochen zu einem fatalen Ergebnis führt. Dummheiten könnt ihr euch nicht leisten. Wenn sie euch irgendwann ins Grab bringen, will ich nicht schuld daran sein. Ist das klar geworden?«
»Vor allem ist mir nun klar, weshalb Gilian auf sich warten lässt. Die Prämisse deiner aufdiktierten Enthaltsamkeit schmeckt ihm garantiert nicht«, merkte Cassian bissig an.
»Gilian kann jeden Tag eintreffen. Er ist ein Mitglied der Sippe und kennt seine Pflicht. Von heute an erwarte ich den erforderlichen Ernst, Geistesgegenwart und Gehorsam. Ihr werdet davon absehen, aus der Reihe zu tanzen und uns zu gefährden. Wir sind zusammengekommen, um die Namenlosen auszumerzen. Sobald dies vollbracht ist, könnt ihr herumhuren so viel ihr wollt. Also, was hast du über das Gezücht herausgefunden, Cassian?«
»Das habe ich doch schon gesagt. Es ist nicht viel. Einem von ihnen bin ich begegnet. Er hat die Flucht ergriffen und war verschwunden, ehe mir klar wurde, was ich vor mir hatte. Seine Fährte führte in die Katakomben. Ich weiß nicht, ob es dort unten Nester gibt.«
»Keiner hätte überleben dürfen. Wir gingen davon aus, dass sie alle vernichtet sind.«
Weder Cassian noch Ruben konnten dazu etwas sagen. Die letzte Säuberung hatten sie nicht miterlebt. Ein in den Chroniken einzigartiges Bündnis war ihr vorausgegangen. Zum ersten Mal seit Bestand der Sippen hatte sich eine davon mit den Vampiren verbündet. Der Waffenstillstand, ausgehandelt zwischen Juvenal und Mica, hatte den gemeinsamen Kampf überdauert – bis Saint-Germain einen Übergriff gewagt hatte. Ob er sich dadurch über den Willen des Großmeisters der Vampire hinweggesetzt hatte, den seine Anhänger nur den Goldenen nannten, blieb ungewiss.
»Der nächste Vollmond ist in dreizehn Tagen. Wir steigen in die Katakomben und rotten sie aus. Sie scheinen feige zu sein und längst nicht so gefährlich wie einst«, sagte Cassian.
»Nur weil einer vor dir den Rückzug angetreten hat, solltest du nicht auf Feigheit schließen, Junge. Gemeinhin suchen sie die Auseinandersetzung und sind versessen darauf, uns zu töten. Das Blut der Wölfe und des alten Volkes der Vampire ist eine Nahrung, die ihre Kraft verstärkt. Kein Mensch kann ihnen das geben. Sie haben dazugelernt und weichen Einzelkämpfen aus, rotten sich zusammen und erhöhen dadurch ihren Erfolg. Der Namenlose rechnete nicht mit dir. Darum war er alleine unterwegs.«
Die Erwähnung des alten Volkes brachte Cassian auf das Mädchen und ihre Zweifel an der Existenz von Vampiren. Ihr Hintern war rund und straff gewesen. Sein Vater quittierte das Heben seiner Mundwinkel mit einem strafenden Blick.
»Der Vollmond bringt uns unter der Erde keinen Vorteil«, überlegte Ruben laut.
»Das wird sich zeigen. Was Saint-Germain anbelangt …«, wechselte Cassian das Thema.
»Wirst du deinen Stolz schlucken und dich von ihm fernhalten«, befahl Juvenal. »Zwischen uns und Mica wird es nicht zum Zwist kommen. Er kennt unsere Absichten und wird uns keine Steine in den Weg legen.«
»Aber er schließt sich uns nicht an«, stellte Cassian fest.
Juvenals Daumen rieb über seine Augenbraue. Sie war so schwarz wie sein kurzes Haupthaar und das Tuch seiner Kleidung. Schwarz war die bevorzugte Farbe der spanischen Granden gewesen.
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