Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
Wenn es nicht zu auffallend gewesen wäre, hätte Juvenal weiterhin die Strumpfhosen und Paukenhosen vergangener Zeiten getragen.
»Mica ist eine Sterbliche abhanden gekommen«, erläuterte Juvenal seinen Söhnen. »Mit ihm ist nicht zu rechnen. Von Kampf und Krieg will er nichts hören. Aus diesem Grund wirst du auch die Finger von Saint-Germain lassen, Cassian. Mica besitzt als Großmeister seines Volkes zu viel Einfluss und soll nicht gegen uns aufgebracht werden. Fehlende Unterstützung können wir verkraften, seinen Zorn nicht.«
Cassian blinzelte gegen das Sonnenlicht an. Gemütsvoll war Juvenal noch nie gewesen. Vor einigen Jahren hätte er die Schwäche ihres größten Feindes für sich genutzt, anstatt sie zu erklären. Sein Vater wurde alt, obwohl äußerlich nichts darauf hinwies. Zweihundert Lebensjahre, die meisten davon dem Kampf gewidmet, hatten ihn gestählt. Vor möglichen Übergriffen auf seinen Rang hatte er nichts zu befürchten. Er war noch immer ebenso wendig und schnell wie seine Söhne und besaß darüber hinaus die größere Erfahrung.
»Lass mich eines klarstellen, Juvenal. Ich erinnere mich nicht an einen Beschluss, der dich zum Wortführer bestimmt. Paris ist mein Territorium, und ich sehe nicht ein, weshalb ich dir die Führung überlassen sollte.«
»Du siehst es nicht ein?« Juvenal machte einen langen Satz, packte Cassian am Hemdkragen und riss ihn aus dem Stuhl. »Deine Einsichten sind stark getrübt durch das Lotterleben, dem du dich hingibst. Vergiss eines nicht: ich bin dein Vater, ich bin das Oberhaupt unserer Sippe und mir verdankst du Paris. Du wirst mir nicht in die Parade fahren.«
Juvenal zeigte seine Zähne. Auch Cassian zog die Lippen zurück. Es war der immer wiederkehrende Schlagabtausch um die Rangordnung, der ihre Sippe zu Distanz zwang. Juvenal hatte das Pech, drei Söhne in die Welt gesetzt zu haben, die sich ihm auf Dauer nicht unterordnen wollten. Unterwerfung lag ihnen nicht im Blut.
»Das ist nicht klug, Juvenal.«
Rubens gelassene Stimme zeigte Wirkung. Juvenal ließ von Cassian ab und glättete gar die schlaffen Spitzen seines Jabots.
»Ein tödlicher Kampf steht uns bevor, und ich will keinen von euch darin verlieren. Ich stand den Namenlosen gegenüber. Ein falscher Schritt und sie können leicht die Oberhand gewinnen.«
»Was mich betrifft, kann ich es nicht erwarten, es darauf ankommen zu lassen«, erwiderte Cassian und setzte sich zurück in seinen Stuhl.
»Weil du jung und unbedacht bist.«, empörte sich Juvenal.
Ebenso wenig, wie sich seine Söhne unterordnen konnten, wollte er es einfach hinnehmen, dass sie sich seiner Dominanz verweigerten. Schritte hielten vor dem Zimmer und verhinderten den nächsten explosionsartigen Ausbruch, der sich in Juvenal zusammenbraute. Bertrand trat ein, eine große Holzplatte mit Wildbret vor sich her tragend. Der Duft leicht angebratenen, noch blutigen Fleisches zog durch das Zimmer. Furchtsam huschte Bertrands Blick zu Juvenal. Weiter als bis zu dessen Knie wagte er die Augen nicht zu heben. In devoter Haltung huschte er zu Cassian und setzte die Platte ab.
»Wurde aber auch Zeit«, knurrte Cassian und griff nach einem Fleischbrocken.
Er grub seine Zähne hinein und verschlang den Bissen nahezu unzerkaut. Bertrand beugte sich zu Cassians Ohr hinab.
»Es heißt, die Chrysantheme bereitet eine Auktion vor.«
Bertrands Wispern war nur für Cassians Ohren bestimmt. Er hob eine Augenbraue und forderte seinen Leibdiener zum Fortfahren auf.
»Das Mädchen soll den Ärger ausbaden, den sie Saint-Germain gemacht hat. Die Chrysantheme will sie versteigern, um den Verlust wieder einzufahren.«
»Wann?«
»In zwei Tagen.«
Nach dieser Neuigkeit sauste Bertrand davon, nicht ohne einen großen Bogen um Juvenal zu schlagen, der seinen Abgang verfolgte. Juvenal trat an den Tisch und nahm sich ein Stück Fleisch, ohne eine Erlaubnis abzuwarten.
»Mein Gehör ist ausgezeichnet, Cassian. Die Frage ist, worunter das deine gelitten hat. Nichts von dem, was ich sagte, scheint zu dir vorgedrungen zu sein.«
Trotz der harschen Zurechtweisung verspürte Cassian Gewissensbisse. Sein Vater hatte ein seltenes Eingeständnis gemacht. Seine in Worte gefasste Sorge besaß Seltenheitswert.
»Es ist nichts von Belang, Vater.«
»Keine Ablenkung. Die Namenlosen werden uns alles abverlangen. Das solltet ihr nicht vergessen.«
»Das werden wir nicht«, erwiderte Ruben ernst.
Juvenal sah von einem zum anderen, wenig überzeugt von
Weitere Kostenlose Bücher