Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
floss. Einen nach dem anderen musterte er, wog ab, ob sie einen Angriff auf seine Tochter und das Kind wagen würden. Wenn er aus ihren vor Nervosität verzerrten Mienen schloss, wohl eher nicht. Gleichgültig, wie alt ein Vampir war, er hing an seinem Dasein und würde es nicht riskieren, indem er seinen Großmeister herausforderte.
Aljoscha trat neben Severin. „Goldener, dein Verhalten wird von vielen Verrat genannt und wirft Fragen auf. Wozu dieses Bündnis mit Cassian de Garou? Er ist ein noch junger Alphawolf. Jederzeit könntest du ihn in einem Kampf besiegen. Deine Tochter wäre heute bei dir, eine von uns, wenn du sie von ihm ferngehalten hättest.“
Das konnte nur jemand behaupten, der seine Tochter nicht kannte. Gleich ihrer Mutter war sie ein Menschenkind. Aber in ihrer sterblichen Hülle steckte der Wille einer Lamia. Weder hatte sie jemals Angst vor ihrem Vater gezeigt noch konnte er sie von etwas abhalten. Diese Lektion hatte er bitter lernen müssen. Er dachte nicht daran, sie anderen anzuvertrauen.
„Schließlich“, mischte sich nun auch Crispin ein, „steht unsere Zukunft auf dem Spiel. In ganz Europa nennt man die Vampire in Paris schwach, weil du dich mit dem Feind verbrüderst. Du hast deinem und unserem Ruf geschadet, Goldener. Seit Anbeginn ihrer Existenz stöbern die Werwölfe uns auf und jagen uns. Etliche Vampire fanden durch sie den Tod. Es geht daher nicht an, sich ihnen anzubiedern.“
Micas kehliges Knurren bremste den Übereifer der drei. All diese Überlegungen hatte er zur Genüge durchgekaut. Niemand musste sie ihm vortragen. Was geschehen war, konnte nicht rückgängig gemacht werden. Florine und Celeste würden um keinen Preis der Welt zwischen den Fronten zerrieben werden. Cassian de Garou, ein Alphawolf aus alter Sippe, war ein erträgliches Übel. Der gemeinsame Wunsch, Blutvergießen zu vermeiden, schweißte sie zusammen. Zu wenig, um von Freundschaft zu sprechen.Genug, um denjenigen, die ihrem Herzen nahestanden, Sicherheit zu bieten.
Die drei Vampire rückten näher zusammen und nahmen die nächste Stufe. Eindeutig Größenwahn. Jeder von ihnen war einem Sterblichen an Körperkraft überlegen. Sogar mit einem einzelnen Werwolf konnten sie fertig werden. Darüber wollten sie vergessen, wer vor ihnen stand. Mica war ihnen um Jahrtausende voraus. Die jüngste Generation seines Volkes hatte die großen Gefechte nicht austragen müssen, um sich zu erhalten. Als er keinen Schritt zurückwich, hob Aljoscha die Hände.
„Dein eigenes Volk nennt dich einen Abtrünnigen, Goldener. Mit jeder verstreichenden Nacht wachsen ihre Zweifel an dir. Du musst dich abkehren von dem Bündnis mit einem Werwolf.“
„Ich muss?“ Das war mal ein Argument. Seines Wissens musste er absolut nichts. Höchstens hin und wieder eine appetitliche Blutquelle genießen und seinen Hunger stillen.
„Ihr Narren“, sagte er und legte eine Nachsicht in seinen Tonfall, die nicht vorhanden war. „Die anderen haben euch Unsinn in eure noch feuchten Ohren gewispert und dann zu mir geschickt, weil sie selbst zu klug sind, um mich aufzusuchen. Ihr wollt euer Blut vergießen, erlöschen in einem Krieg, der längst vorüber ist? Unsere Welt hat sich verändert. Ob Vampir oder Werwolf, für die Sterblichen sind wir Schreckgespenster. Ihnen allein gehört die Zukunft. Nicht uns. Keinem Einzigen von uns.“
Unverständnis glomm in ihren Augen auf. Die Wahrheit schockierte sie, da sie sich mit Wahrheiten nicht befassten. Ihr Großmeister fällte alle Entscheidungen für sie, erließ die Regeln und hielt die Ordnung aufrecht. Der Rest von ihnen lebte in die Nacht hinein und ignorierte den eigenen Niedergang.
„Diese Ansichten sind es, die dein Volk verwirren“, stieß Severin hitzig aus und machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. „Weit über Paris hinaus ist bekannt geworden, wozu du dich hinreißen lässt. Sie lachen über dich. In Schottland ergießt Branwyn seinen Spott über dich, und von Pavo in Rumänien heißt es, er würde johlen, sobald dein Name fällt. Dein Abwenden von unseren Traditionen ist ein Irrweg!“
„Hast du ein Priesterseminar besucht, Severin? Es klingt danach.“
„Goldener!“ Crispin war so aufgebracht, dass er Severin mit dem Ellbogen beiseitedrängte. „Willst du das Leid vergessen, das die Werwölfe uns zufügten? Es ist zu viel Blut geflossen. Unser Krieg wird erst enden, wenn der letzte Werwolf vernichtet wurde. Dir mag es zusagen, in der Rolle des Großvaters eines
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