Söhne der Rose - Die Zeit ist aus den Fugen- (Gay Phantasy) (German Edition)
Lippen strich.
„Dein kleiner Kopf ist jetzt voller, als er sein sollte“, sagte er ernst, aber freundlich. „Denk bitte nicht zuviel darüber nach, am besten gar nicht. Zeit ist für uns relativer, als es der gute Einstein vielleicht je für möglich gehalten hätte, aber erst wenn du soweit bist, die Villa zu verlassen, wirst du das wahre System hinter dem Ganzen verstehen können. Solange dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, solltest du dich lieber über die beiden farbigen Jungs freuen, mit denen wir hier sind. Genieß deine Gegenwart.“
Ich nickte langsam. Alain hatte Recht. Warum sollte man sich Gedanken über die Vergangenheit oder die Zukunft machen, wenn sie ihr lineares Dasein aufgeben mussten? Wenn jeder Punkt im Leben unserer Zeit gleichzeitig Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges sein konnte? Wenn unsere beschränkte, vierdimensionale Existenz die Pforten für weit mehr geöffnet hatte und sich weiterhin öffnen würde? Alain war zwar hier mit uns dreien, aber gleichzeitig – und doch nicht – war ich mit ihm allein und glücklich zusammen, vom jetzigen Standpunkt aus gesehen in der Zukunft, aber eben doch gleichzeitig. Wie er mit seinem Vorgänger und ich mit den Zwillingen und sie mit ihrem Nachfolger.
Wenn unser Vorhaben gelingen würde.
Die Euphorie, die ich beim Erwachen gespürt hatte, strömte zurück in meinen Körper. Keine Schuldgefühle, keine Angst, etwas Falsches zu tun oder getan zu haben.
Ich küsste Alain, nur ein leichter Kuss auf die Lippen, mehr nicht.
Dann tauchte plötzlich jemand auf, der sehr wohl der Meinung war, meine Handlungen wären falsch.
„Oh, Allmächtiger, das ist ja widerlich.“
Ich drehte mich überrascht um. Die Tür von Sinhs und Daxx’ Nachbarzimmer stand offen und ein Kerl, der annähernd einen Kopf größer war als ich und dessen Kreuz scheinbar von San Francisco bis nach Boston reichte, stand vor dem Türrahmen auf der Veranda, umringt von zwei Koffern, die er wohl gerade abgestellt hatte. Seine Freundin – so vermutete ich – jung, brünett, gewellte Haare, leicht überschminkt mit einer knappen Shorts und noch knapperem Oberteil, stand hinter ihm, ihr Handtäschchen locker baumeln lassend und Kaugummi kauend. Der menschliche Eichenschrank hatte sich mit einem Wifebeater – zum ersten Mal in meinem Leben fand ich die Bezeichnung für diese Art von Unterhemd treffend – und einer Stoffhose verkleidet, die er allen Modedesignern zum Trotz in seine Stiefel gesteckt hatte.
„Meinst du, dass sind die beiden, die wir gestern Nacht gehört haben?“, fragte seine Freundin.
„Na sicher, oder hast du bei dem ganzen Gestöhne und Gebumse eine Frauenstimme gehört?“ Sein Gesicht stellte den Ekel, den er angesichts dieser Vorstellung empfand, unverhohlen zur Schau. „Verfluchte Tunten.“
„Hey! Was soll das heißen?“, rief ich. Unter anderen Umständen hätte ich wahrscheinlich – ganz sicher sogar – meine Klappe gehalten. Aber ich fühlte mich, als könnte ich Bäume ausreißen. Alain wollte mich zurückhalten, aber ich machte demonstrativ drei Schritte vor.
„Henry, fang bitte keinen Streit an. So laut waren sie doch auch nicht.“
„Durch Tunten wie euch geht unser Land bald vor die Hunde“, zischte der Kerl unbeeindruckt. Schweißperlen glitzerten zwischen seinen kurzgeschnittenen Haaren. „Sieh dir bloß diese protzige Tätowierung von dem Bengel an.“
„Wieso?“, fragte seine Freundin vorsichtig. „Die Rosen sehen doch recht hübsch aus.“
„Blärch“, war alles, was Henry als Antwort gab. Dabei verzog er sein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
„Julian, lass gut sein“, hörte ich Alains Stimme hinter mir.
„Oh, Julian, lass gut sein“, sang der Typ mit Falsettstimme. „Oh Julian – Schwulian!“
„Komm schon, Henry, lass die beiden Kinder zufrieden“, murmelte seine Freundin, die sich offenbar nicht bewusst war, dass wir regulär gesehen nicht viel jünger als sie sein konnten.
„Halt die Klappe, Eve. Diese Tunten kotzen mich an.“
„He, so spricht man aber nicht mit einer Dame“, sagte ich.
Eve hörte auf, ihren Kaugummi zu bearbeiten.
„Sagt eine Dame, um eine andere zu beschützen“, höhnte der Koloss. Ich näherte mich ihm bis auf sechs Fuß.
„Ich denke, Sie sollten sich entschuldigen.“
„Bei dir? Eher friert die Hölle ein.“
„Nicht bei mir. Bei der Dame.“
„Was?“ Er lachte schallend. „Dame! Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank,
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