Söhne der Rose - Die Zeit ist aus den Fugen- (Gay Phantasy) (German Edition)
Überraschung stellte ich fest, dass Alain eine ähnliche Idee gehabt haben musste. Er stand, fast so wie am gestrigen Abend, vor meiner Zimmertür auf das Geländer gelehnt und zog an seiner Zigarette. Als wäre er nie weggegangen. Für einen kurzen Moment überkamen mich Schuldgefühle, aber die Art, wie er mich ansah, wischte sie schlagartig fort. Er wusste, was geschehen war, aber mehr noch, er freute sich für mich. Für uns.
„Guten Morgen, mon ami. So früh schon auf den Beinen?“
„Morgen, Alain. Ich weiß gar nicht, wie viel Uhr es ist.“
„Kurz vor halb Acht.“
Ich tapste zu ihm – natürlich hatte ich meine Schuhe im Doppelzimmer vergessen; alte Gewohnheiten ... – und schnipste mir elegant eine Zigarette direkt aus der Schachtel in den Mund, etwas, das ich sonst immer verpatzte, wenn ich cool sein wollte. Heute gelang es. Und ich hatte das Gefühl, dass uns heute alles problemlos gelingen würde. Wie falsch ich damit lag, zeigte sich bereits in den nächsten Minuten.
Alain gab mir Feuer. Ich lehnte mich neben ihn und blies Rauchringe in die weite Landschaft vor uns, die am gestrigen Abend noch so trostlos ausgesehen hatte. Der kräftige, blaue Himmel ließ auch die dezenten Farben der Häuser und Straßen, der wenigen Bepflanzung und der ganzen Wüste irgendwie prächtig erscheinen. Oder lag es nicht am Himmel?
„Ich wollte euch noch ein bisschen schlafen lassen. Scheiß was auf meinen Zeitplan, wir haben noch ausreichend Puffer. Und ihr hattet wohl eine aufregende Nacht?“
„Abwechslungsreich“, sagte ich und grinste.
„Das kann ich mir vorstellen. Es ist schön.“
„Und du bist wirklich nicht eifersüchtig?“
Alain zog in Ruhe an seiner Zigarette, blies den Rauch aus und sah mich mit seinen grünen Augen an, Augen, die das Fundament der Welt zum Beben bringen könnten.
„Ich will dich nicht belügen. Doch, ich bin ein wenig eifersüchtig, aber das bedeutet gar nichts. Ich bin nicht hier, um den natürlichen Lauf der Dinge zu stören, sondern dafür zu sorgen, dass er ungehindert weitergehen kann. Lass dich durch meine Anwesenheit nicht aus der Fassung bringen. Alles was du – was ihr – tut, kommt letztendlich auch uns zu gute.“
Ich dachte über seine Worte nach.
„Eigentlich hätte ich dich erst nach deinem Auszug aus der Villa wiedertreffen dürfen. Du bist nicht Schuld an der ganzen Misere, genau so wenig wie ich. Wir sorgen einfach dafür, dass das Uhrwerk des Universums weitertickt und wenn das geschehen ist, wenn alles vorbei ist, werden wir unsere Zeiten miteinander haben. So, wie es sein soll. Bis dahin musst du deinem inneren Ruf folgen. Das Hinzufügen neuer Energie hat bereits begonnen.“
„Du klingst ja wie Yoda.“
Alain lachte leise. Es war echt und kam von Herzen, trotzdem steckte ein winziger Keim Traurigkeit darin.
„Eine Sache würde ich gern wissen, Alain. Wenn alles gut geht und ich die Villa verlasse und mich in drei verschiedene Menschen aufteile, wird sich jeder von ihnen an alles erinnern? Wenn wir unsere Zeiten miteinander haben , wie du sagtest?“
Er antwortete nicht, stattdessen betrachtete er seinen Zigarettenstummel und schnippte ihn auf den Parkplatz.
„Warum bist du nicht eher aufgetaucht?“, fragte ich ihn stattdessen. „Ich meine, bevor ich die Zwillinge kennengelernt habe. Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Hätte das nicht alles viel einfacher gemacht?“ Für dich?
Alain erhob sich. Ich tat dasselbe. Mein Shirt fiel zu Boden, aber das nahm ich nur unbewusst wahr.
„Auch wenn für uns manche der bekannten physikalischen Gesetze keine Wirkung haben, müssen wir uns dennoch einigen beugen. Sie hätten mich nicht an einen früheren Zeitpunkt schicken können. Damit hätten wir den normalen Ablauf gestört. Die Gefahr war zu groß, dass du Sinh und Daxx vielleicht nie getroffen hättest.“
„Du sagst immer wir und sie . Wer sind sie ?“
Schweigen.
„Komm schon, Alain. Wenigstens diese Antwort bist du mir schuldig.“
Alain seufzte.
„Unsere Mutter. Die Mutter der Villa. Und unsere Vorgänger. Und ... Nachfolger.“
Ich sagte nichts. Eigentlich hatte Alain meine erste Frage damit indirekt beantwortet. Doch die Konsequenzen dieser vier Sätze bargen mehr, als ich in dem Moment begreifen konnte. Bedeutete das Schicksal oder Bestimmung? Vorhersehung? Kannte er Sinh und Daxx bereits?
Ich starrte zu Boden und bemerkte es erst, als Alain vorsichtig meinen Kopf hob und mit seinem Daumen über meine
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