Söhne der Rose - Die Zeit ist aus den Fugen- (Gay Phantasy) (German Edition)
Blickfelds besonders scharf und detailliert auf meiner Netzhaut abzeichnete, während die Randbereiche leicht verwaschen blieben. Wie das Netz einer außerordentlich bösartigen Spinne durchzogen graue Fugen die ansonsten blasse Ebenheit der Zimmerwand.
Trostlos.
Und unangenehm.
Ich rief mir das Treffen mit den Chicanos ins Gedächtnis zurück, unser Spiel, den Einkauf, das Essen, den Rückweg. Letztendlich schadete es mehr, als dass es nutzte. Mir war ein wenig übel, aber ich führte es nicht auf den Alkohol zurück, da ich reichhaltig gegessen hatte. Unentschlossen drehte ich meinen Kopf zur anderen Seite. Die gleiche Wand, die gleichen Netze. Ich konnte weder Alain, noch die Zwillinge hören. Entweder waren die Wände in diesem Motel dicker als die in Lordsburg, oder meine Companeros verhielten sich der Uhrzeit entsprechend leise.
Ich hatte Durst. Vielleicht die erste Reaktion meines Körpers auf das schmackhafte Tequilagift. In der Lobby hatte ich einen Getränkeautomaten gesehen. Ich erinnerte mich an das Kleingeld, das mir Alain an der Tankstelle in Carlsbad gegeben hatte und sich noch immer in der Tasche meiner Hose, die jetzt in einer der Einkaufstüten steckte, befand. Sehr schön. Ich blieb liegen und drehte meinen Kopf zurück in die ursprüngliche Position.
Die Wand mit ihren trostlosen Netzen hatte sich nicht verändert.
„Oh, Mann“, murmelte ich in meine zerwühlte, geschmacklose Überdecke und stand auf. Müde, aber nicht schläfrig, kramte ich das Geld hervor und verließ mein Zimmer. Auf dem Weg zur Lobby trottete ich an Alains Zimmertür vorbei, nur um ein paar Schritte weiter stehen zu bleiben.
Waren das Stimmen?
Ich lauschte. Es waren tatsächlich Stimmen, aber sie kamen nicht nötigenfalls aus Alains Zimmer, und selbst wenn, hatte er mit Sicherheit nur den Computer eingeschaltet, der standardmäßig zur Einrichtung gehörte, um noch einen Film oder Nachrichten zu sehen. Auf die Idee hätte ich auch selber gekommen sein können, anstatt die blöden Wände meines Zimmers anzustarren.
Der Getränkeautomat verursachte einen Höllenlärm, als er meine Mineralwasserdose ausspuckte, der in der nächtlichen Ruhe fehl am Platz wirkte. Gerade wollte ich zu meinem Zimmer zurückgehen, als ich eine Idee hatte. Bestimmt waren die Zwillinge ebenfalls noch wach und wurden von Nachdurst gequält. Meine Finanzlage ließ eine kleine Überraschung für sie zu, also wappnete ich mich geistig gegen den Lärm und zog zwei weitere Dosen Mineralwasser. Sie hatten sich bei dem Spiel gegen die Chicanos und gegen Alain so fair und erwachsen verhalten, dass sie sich eine kleine Belohnung verdient hatten. Ich wusste, dass sie uns locker hätten schlagen können, haushoch und in beiden Matchs. Aber sie hatten schnell das Problem erkannt – Alains Problem, zu verlieren, und sei es nur ein Spiel – und darauf reagiert. Ich war stolz auf die Zwillinge, und diesen Stolz wollte ich nun mit zwei Dosen Wasser ausdrücken.
Auf dem Weg zu ihrem Zimmer kam mir meine Idee immer besser vor, obwohl das weniger auf diese großzügige Geste meinerseits zurückzuführen war, als auf die Tatsache, gleich in Gesellschaft zu sein. Meine Laune verbesserte sich, bis ich erneut an Alains Tür vorbeikam.
Eine der Stimmen gehörte ihm, und ich hielt es für unwahrscheinlich, dass er Selbstgespräche führte oder sich mit dem Computer unterhielt. Diesmal lauschte ich nicht nur in den Flur hinein, sondern an seiner Zimmertür.
„... mir wirklich gut gefallen.“
„Bueno, sí. Ging mir genauso.“
Die Atemluft schien auf ein Mal dünner zu werden, meine Augen, die auf das leuchtende Notausgangsschild am Ende des Flurs gerichtet waren, riesig, und der Alkohol in meinem Blut zu verschwinden.
Die andere Stimme gehörte Julio.
„Es macht dir wirklich nichts aus, dass ich zurückgekommen bin?“
Pause.
„Nein. Natürlich nicht.“
Das reichte mir. Mehr wollte, mehr durfte ich nicht hören. Wie benommen taumelte ich weiter, an meinem Zimmer vorbei und klopfte leise mit dem Boden einer der drei Dosen an die Tür der Zwillinge. Eine grausam lange Zeit geschah gar nichts, aber ich war nicht bereit, unter diesen Umständen in mein eigenes, mit Spinnennetzen überzogenes Zimmer zurückzukehren. Gerade wollte ich erneut klopfen, als die Tür einen Spalt geöffnet wurde und Daxx’ große dunkelbraune Augen mich mit einer Mischung aus Überraschung und Freude anblickten. Es war wie Zucker auf einem Stück sauren Rhabarbers.
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