Soehne des Lichts
können nicht die ganze Stadt nach mir absuchen. Oh Ti, ich habe gesündigt, ich habe deinem Wort nicht gehorcht. Hast du deshalb zugelassen, dass die verfluchten Töchter Pyas deinen Hort des Lichts schänden? Deinen Tempel mit ihrer lästerlichen Magie besudeln?
Wie oft hatte er diese Gedanken gewälzt? Ti um Gnade angefleht, ohne jemals Antwort zu erhalten?
Sei unbesorgt, Herr. Die Saat ist gelegt. Ilat hasst Pya und ihr Gezücht. Meine jungen Geweihten und Novizen sind sorgsam geschult, jeder, der als Nachfolger für mein Amt in Frage kommt, ist bereit, die Dunkelheit mit gebührender Härte zu bekämpfen. Ja, ich habe gesündigt, Ti, doch nur, um die Herrschaft des Lichts vorzubereiten! In deinem Namen habe ich alles getan, alles, um den Sieg für dich zu erringen, den Sieg über die sündigen Kräfte der Pya. Ich habe den Namen der schändlichen Göttin bannen lassen, wie schon mein Meister Cirith. Das einfache Volk beginnt, sie zu vergessen. Die Hexen, sie werden das Angesicht der Welt verlassen. Wenn niemand mehr an sie glaubt, wenn niemand mehr seine magischen Bastardtöchter in den Wald legt, kann es keine neuen Hexen geben. Ich werde sie ausrotten!
Ungehindert lief Garnith durch die dämmrige Stadt. Man wollte ihn an den Toren zwar aufhalten, doch ein Blick in das Gesicht unter der dunklen Kapuze, und jeder Wächter erkannte ihn als das, was er war. Langsam humpelte er die serpentinenartigen gepflasterten Straßen bergab. Je tiefer er kam, desto belebter wurden die Viertel, bis er sich seinen Weg durch dicht gedrängt stehende Menschengruppen bahnen musste. Garnith befand sich nun im Künstlerviertel, und hier wurde das Leben gefeiert. Missbilligend starrte er auf die halbnackten Frauen, die lachend in den Armen betrunkener Männer einherschritten; so stolz, so jung, so sicher, dass die Welt ihnen gehörte. Maler hatten ihre Ateliers nach draußen in die laue Sommernacht verlegt und schufen Kunstwerke unter den Augen ihrer Bewunderer und Gönner, während ihre schamlosen Musen sich in allen möglichen Posen auf der Straße rekelten – die meisten nackt, manche mit Blut verschmiert, bizarr gefesselt oder in den Armen anderer Weiber. Schriftsteller lasen ihre Verse an jeder Straßenecke, lieferten sich Wettkämpfe mit Sängern und Musikern. Philosophen forderten Diskussionen zu ihren lästerlichen Gedanken über Gott, der Welt, der Magie und dem König, während die Stadtwachen tatenlos zusahen.
Garnith war entsetzt. Wie hatte das geschehen können? Er wusste, Darudo war kein gottesfürchtiger Mann und hatte nie genug getan, um der Zügellosigkeit, die schon immer unter Roen Orms Oberfläche gebrodelt hatte, Einhalt zu gebieten. Dieses unglaublich gottlose Verhalten, wider allen Geboten des Herrn, das durfte nicht hingenommen werden!
Reinige deinen Körper, denn der Herr gab ihn dir in seiner Gnade. Halte ihn gesund und pflege ihn, so ehrst du deinen Gott.
Halte Maß bei allen Freuden, betrinke dich nicht, überfülle dich nicht mit Speisen, liege nicht zu oft deinem Bundpartner bei.
Genieße die Gaben der Schönheit, die Ti uns sandte, aber berausche dich nicht daran. Nur so wirst du eins sein mit deinem Gott, der das Gleichmaß aller Dinge bedeutet.
Doch weise seine Gaben auch nicht gänzlich zurück, sonst beleidigst du ihn, deinen Gott.
Garnith atmete tief durch. Es tat ihm gut, den Kanon der Gebote zu rezitieren, während er durch das entfesselte Treiben irrte; es beschäftigte seinen überreizten Verstand.
Jugend ist schamlos. Man sollte die jungen Leute allesamt in die Minen und auf die Galeeren schicken, bis ihre sündigen Kräfte verbraucht sind! Erst danach sollte man ihnen gestatten, ein freies Leben zu führen. Künstler wollen sie sein? Was ist daran kunstvoll, sich mit Brandwein vollzuschütten, alles wieder zu erbrechen und zwischendurch Reime zu stammeln, die so schlecht klingen wie diese ungewaschenen Leiber stinken?
Ti, hast du deine Stadt vergessen? Wie kannst du so etwas zulassen? Ich muss Ilat sprechen. Ich muss ihn dazu bringen, das ganze Viertel auszuräuchern, der Junge wird auf mich hören … Gleich morgen früh.
In diesem Moment bemerkte er eine junge Frau, die seltsam deplatziert wirkte. Er wusste nicht warum, aber sie schien hier ebenso wenig hinzuzugehören wie er selbst. Ein schwarzes Gewand verhüllte ihren Körper, sie saß ruhig und unbeweglich auf einer niedrigen Mauer. Wie eine Katze, elegant und entspannt und dennoch sprungbereit. Schwarzes
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