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Soehne des Lichts

Soehne des Lichts

Titel: Soehne des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Balzer
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lockiges Haar umrahmte das junge Gesicht. Garnith blieb stehen und erschauderte. Warum kam sie ihm bekannt vor? Wer war das Weib? Da wandte sie den Kopf, blickte ihn an, ernst und ruhig. Sie nickte ihm zu, dann sah sie wieder fort, auf die Straße unter ihr.
    Langsam ging Garnith weiter. Seine Muskeln, steif und entzündet nach Jahren, die er betend im Tempel verbracht hatte, bewegten sich nun leichter, nachdem er eine Weile gelaufen war. Zwar war er bereits müde, seine Gelenke schmerzten, doch er war nicht umsonst ein Priester der Sonne, ein Magier, ein Sohn des Lichts. Die Gebrechen des Alters betrafen ihn weit weniger als gewöhnliche Menschen. Mehrmals schaute er sich um, suchte die Frau, die unbeweglich auf ihrem Platz saß.
    Eine Hexe? Ob das eine Hexe war? Garnith schüttelte unwillig den Kopf. Natürlich lebten auch Hexen in diesem Sündenpfuhl, sicher waren sie es, welche die Jugend zu all dieser Schamlosigkeit verführten. Warum aber sollte ausgerechnet eine tugendhaft gekleidete, sittsam dasitzende Frau eine Pya-Tochter sein?
     
    Hüte deine Gedanken, schärfe deinen Verstand. Ti gab ihn dir, um die Welt zu erkennen, die er erschuf, als Heimat für sein erwähltes Volk. Hinterfrage, was du siehst, zweifle, was deine Sinne dir vorgaukeln, nur so kannst du den Illusionen und Lügen entgehen, den Wirren und Fallen, die deine Feinde dir bereiten.
    Dein Geist stammt von ihm, deinen Gott.
    Lass nicht nach in deinen Mühen, ihn täglich zu formen, nur so ehrst du ihn, deinen Herrn.
     
    Seltsam beunruhigt humpelte Garnith die Treppe hinab, die zur Mittenbrücke führte. Beinahe auf halber Höhe teilte eine weite, tiefe Spalte den Felsen, auf und in dem Roen Orm errichtet worden war. Eine zwanzig Schritt lange Bogenbrücke führte über den Abgrund, die aus verschiedenen Gründen „Mittenbrücke“ genannt wurde. Zum einen eben, weil sie auf halber Höhe des Felsens lag, zum anderen, weil man, wenn man sich mitten auf der Brücke nach Westen wandte, genau zwischen zwei Klippen hindurch auf das offene Meer sehen konnte.
    Garnith war fast am Fuß der Treppe angelangt, als er im Schritt verharrte. Von ihm abgewandt, beleuchtet von den ewig glimmenden Nachtlichtern – magische Fackeln, die alle wichtigen Straßen und Gassen Roen Orms erhellten –, saß eine dunkelhaarige Frau in schwarzem Kleid auf der drittletzten Stufe. Verwirrt drehte er sich um – hatte diese merkwürdige Person ihn überholt, ohne dass er es bemerkt hatte? Nun, möglich war es, er bewegte sich langsam und es waren viele Menschen unterwegs.
    Als er an ihr vorüberschritt, blickte sie zu ihm auf. Grün funkelnde Augen musterten ihn, Augen, in denen etwas Reptilienhaftes lauerte. Schlangengleich ... Nein, das war unmöglich, er irrte sich. Garnith starrte sie an, schlug unbewusst ein Sonnenzeichen und beeilte sich weiterzukommen.
    Unheimlich, dieses Weib!
    Ein Schauder lief über seinen Rücken, doch er wollte weiter. In Bewegung bleiben, unter Menschen, so würde die Hexe ihn nicht in die Klauen bekommen!
     
    Was das abergläubische Volk Seele nennt, gibt es nicht.
    Der Mensch und alle vernunftbegabten Rassen und Kreaturen besitzen einen Leib, einen Verstand und ein Bewusstsein, Tis feurigen Lebenshauch.
    Dieses Bewusstsein ist die reinste aller göttlichen Gaben, denn es ist unzerstörbar und durch nichts Böses zu berühren.
    Der Funke des lebendigen Geistes glüht, bis der Körper stirbt, dann kehrt er zurück zu ihm, deinem Gott.
    Nichts kann diesen Funken überschatten, er ist von Gott und göttlich wie er selbst.
    Der Verstand allerdings ist gar zu leicht zu verführen und anfällig für alles Schlechte dieser Welt.
    So sorge dich also um deinen Leib und deinen Verstand, damit der Funke möglichst lange erhalten bleibt und hell zu leuchten vermag!
     
    Garnith hielt gewohnheitsmäßig mitten auf der weißen Marmorbrücke an und lehnte sich gegen die hohe Brüstung, um nach Westen zu schauen. Es gab nichts zu sehen in der Dunkelheit, die fernen Klippen ließen sich nicht einmal erahnen. Dennoch tat es ihm gut, sich sowohl von dem lärmenden Treiben der Stadt als auch von seinem angstgetriebenen Geist abzuwenden und einfach in die stille Dunkelheit zu starren.
    Ob es eine Bewegung, ein Geräusch oder Instinkt war, was ihn aufmerken ließ, wusste er nicht, jedenfalls hob Garnith den Kopf. Auf dem Pfeiler direkt neben ihm, in mehr als drei Schritt Höhe, saß die junge Frau und betrachtete ihn stumm. Ihre Augen leuchteten matt im Schein

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