Soehne des Lichts
Vorräten bereit, den sie Avanya mit einem kurzen Kuss auf die Stirn überreichte. Yrda drückte sie derweil zu Boden und begann ihr das Haar neu einzuflechten. Ihr Vater setzte sich vor Avanya und überschminkte ihre Tapras , winzige Hautverfärbungen, die bei allen Nola von der Stirn abwärts zum Hals verliefen. Frauen hatten in der Regel hellere Muster als Noli, die Männer, deren Hautzeichnungen manchmal fast schwarz waren. Tunneltrolle konnten nur durch diese Färbung unterscheiden, ob sie einen männlichen oder weiblichen Krieger vor sich hatten, da Nallas erst eindeutig sichtbare frauliche Attribute entwickelten, wenn sie Kinder geboren hatten. Trolle neigten dazu, Nallas zu verschleppen, Nolis hingegen wurden einfach erschlagen. Deshalb überschminkte jeder seine Tapras vor dem Kampf, oder wenn er auf eine lange Reise ging – die recht einfältigen Trolle gingen in dem Fall stets davon aus, dass alle Gegner männlich waren. Ein schneller Tod wurde jederzeit bevorzugt …
Der Weg nach Malaby, zur Hauptstadt der Nola, war weit, zu weit, um unnötige Risiken einzugehen.
Als sie mit ihr fertig waren, stand Avanya auf, packte ihre Ausrüstung und winkte ihrer Familie zum Abschied. Yrda schlug ihr aufmunternd auf die Schulter und rief lachend: „Es geht wieder los! Du weißt, sobald man nach Spähern ruft, wird es ernst.“
„Es ist immer ernst“, erwiderte Avanya grimmig, und lief los, im kräftesparenden, gleichmäßigen Schritt der Krieger.
Ionnon saß auf seinem kunstvoll aus einer Geode geschnitzten Thron, auf glatt geschliffenen Amethysten. Avanya betrachtete ihn neugierig, bevor sie sich ehrfürchtig vor ihm verbeugte, die Faust auf dem Herzen, wie es sich für eine Kriegerin geziemte.
„Sei gegrüßt, Avanya vom Clan des Weißkristalls. Du bist meinem Ruf schnell gefolgt, darüber bin ich froh.“
Sie blickte auf und nickte ernst.
„Wie kann ich dem obersten Clanführer dienen?“
„Man sagte mir, du hältst dich gerne an der Oberfläche auf und sprichst die Sprache der Menschen?“
„Das ist wahr.“ Sie spürte, wie sie leicht errötete. Beides war nicht verboten, aber ungern gesehen bei ihrem Volk. Doch dann sah sie das Lächeln in den violetten Augen des Herrschers und entspannte sich ein wenig.
„Sei unbesorgt, es sind genau diese beiden Eigenschaften, die dich so wertvoll für uns machen. Ich habe einen Auftrag für dich, der dich an die Oberfläche führen wird.“
„In die Stadt ?“, flüsterte Avanya fast lautlos. Man erzählte sich seltsame Dinge über Roen Orm, dieser Stadt, die über Malaby lag. Seltsame, aufregende und auch schreckliche Dinge.
„Nein, nicht bis nach ganz oben. Es gibt einen Loy, der seit einiger Zeit – hm, vielleicht seit zwanzig Jahren oder so – durch unsere oberen Tunnel streift. Er ist allein und macht uns bis jetzt keinen Kummer, allerdings er wurde wiederholt beobachtet, wie er Wege noch tiefer hinab suchte und in den letzten Tagen ist er dabei erfolgreich gewesen. Das würde ihn unweigerlich nach Malaby führen, und davon wollen wir ihn abhalten. Hier, nimm meinen Siegelstein, damit er weiß, dass du in meinem Namen sprichst. Er darf nicht näher kommen! Bitte ihn höflich darum, im oberen Bereich zu bleiben. Du darfst ihm Hilfe anbieten, und Zugeständnisse, falls er etwas aus Malaby kaufen möchte und es statthaft ist.
Der Wächter Leoro wird dich in seine Nähe führen. Vorausgesetzt, du nimmst den Auftrag an, Kriegerin.“
Ionnons Ton war wohlwollend, doch die Anrede ließ keinen Zweifel, dass er eine Weigerung nicht akzeptieren würde.
Avanya verneigte sich tief, griff dann nach dem Siegel in der ausgestreckten Hand des Führers.
„Ich bin geehrt durch dein Vertrauen und werde versuchen, es nicht zu enttäuschen.“
Ein älterer Mann mit den violetten Haaren und Augen des
Amethyst-Clans, der in Malaby am zahlreichsten vertreten war, begrüßte sie respektvoll.
„Folge mir, Avanya. Mein Name ist Leoro, ich werde dir zeigen, wie du den Loy finden kannst.“
Unbehaglich lief sie neben dem Noli her. Ein Loy! Noch nie war ihr ein Loy begegnet. Beinahe hatte sie geglaubt, das wären nichts als Figuren aus Geschichten, mit denen man kleine Kinder dazu bringen wollte, sich gut zu benehmen und nachts im Bett zu bleiben. Fast hätte sie über ihre Gedanken die Wunder von Malaby übersehen, die wunderschöne Stadt aus Kristall und Edelstein. Sie war nicht zum ersten Mal hier, doch jedes Mal war es ein staunenswertes Erlebnis. Es gab
Weitere Kostenlose Bücher