Soehne des Lichts
ihr.
„Niyam, wir wollen dich wirklich nicht vertreiben“, rief Avanya erschrocken. „Wenn du möchtest, können wir dich bis in die Bereiche führen, die du begehen darfst, vielleicht findest du dort schon, was du suchst.“
„Danke, junge Kriegerin. Ich danke dir für mehr, als du ahnen kannst, denn ich bin froh über das, was du sagst. Möglicherweise wird eines Tages ein anderer meines Volkes kommen und auf dein Angebot eingehen wollen, aber das werde nicht ich sein. Ich packe gerade meine Sachen, meine Zeit in Roen Orm ist in wenigen Tagen beendet. Zu lange habe ich erfolglos gesucht, ich ertrage die Sehnsucht nach meinem Volk nicht länger.“ Er lächelte ihr zu. „Hab Dank, Avanya, dass du mir vor meiner Abreise einen Blick auf die Bewohner dieser wunderbaren Tunnelwelt gestattet hast. Ich habe eure Kunstfertigkeit all die Jahre lang bestaunt und bewundert.“
Sie erwiderte sein Lächeln. Etwas war an diesem fremdartigen Geschöpf, das ihr Vertrauen einflößte. Beinahe wünschte sie, noch mehr Zeit mit ihm verbringen zu können, sie hätte so viele Fragen über seine Suche und vor allem über sein Volk.
„Es ist bedauerlich, wir haben wohl zu lange gewartet. Ich wünsche dir eine sichere Reise, Niyam von den Loy.“ Er verneigte sich und ging, nachdem sie noch einige Höflichkeiten getauscht hatten.
Tief berührt schaute Avanya diesem ungewöhnlichen, faszinierenden Wesen nach. Die tiefe Einsamkeit des Loy bekümmerte sie, wie gerne hätte sie ihm geholfen! Langsam kehrte sie zurück zu Leoro. All seine Fragen wiegelte sie mit kurzen Sätzen ab. Sie konnte nicht reden, zu sehr war sie mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.
Niyam. Avanya hatte die uralten Dialekte ihres Volkes erlernt, mehr aus Interesse als Notwendigkeit. War es Zufall, dass in der fast vergessenen Sprache das Wort Niyam „Großmut“ bedeutete?
Die Legenden waren voll von Erzählungen, in denen Loy und Nola sich bitter bekämpft hatten. Die Hinterhältigkeit des geflügelten Volkes, ihre Grausamkeit, waren eine feststehende Tatsache. Nichts davon hatte sie in Niyam gespürt.
Irrten sich die Legenden? Oder war er etwas Besonderes?
Ich hoffe, er hat eine Familie, die auf ihn wartet. Er war so traurig …
8.
„Wenn du es erst einmal verloren hast, wirst du wissen, wie sehr du es liebtest.“
Sinnspruch, auf ähnliche Weise in ganz Enra bekannt
„Du gehst?“ Inani stand in der Tür von Niyams Kräuterladen, die eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere Hand umspielte den Kopf der Kyphra. Niyam betrachtete sie einen Moment lang stumm. Dann starrte er verlegen auf das Kästchen in seinen Händen, das er gerade versiegelt hatte, und stellte es zu den anderen Dingen ins Regal. All seine Besitztümer waren fest verpackt und ordentlich gestapelt, nur ein leichtes Bündel und einige Waffen lagen bereit für seine Reise.
„Ich bin froh, dass du noch gekommen bist, es wäre traurig gewesen, dich mit einer simplen Nachricht verlassen zu müssen.“ Niyam griff nach einem Umschlag und zerriss ihn, die Pergamentfetzen fielen unbeachtet zu Boden.
„Geheimschrift?“, fragte Inani lächelnd. Sie wollte die Traurigkeit nicht zeigen, die nach ihr griff.
„Nein, zu gefährlich. Ich habe es als Auftragsrückruf getarnt, doch du hättest den Sinn darin gefunden.“
„Warum, Niyam? Warum gehst du fort?“ Unfähig, sich länger zu beherrschen, stürzte sie sich in die Arme ihres langjährigen Freundes. Was war bloß los mit der Welt? Warum zerbrach sie so plötzlich vor ihren Augen? Erst waren Shora und Alanée aus dem Palast ausgezogen, dann wurde Thamar aus ihrem Leben gerissen, und nun auch noch Niyam? Warum konnten die Dinge nicht so bleiben, wie sie es gewohnt war? Wie es gut gewesen war?
Sie schluchzte leise auf, aus Trauer genauso wie aus Ärger über sich selbst. Inani war verständig genug, um zu begreifen, dass nichts jemals so blieb, wie es war, nur eben nicht in der Stimmung, das zu akzeptieren.
„Inani, nicht.“ Niyam streichelte sanft über ihren Kopf. „Es ist nicht deine Schuld, wirklich nicht. Ich war so lange fort von meiner Sippe ...“
Inani verstand. Nächtelang hatte sie ihm gelauscht, wenn er von den Loy erzählt hatte, der Sippe, die er zurückgelassen hatte, nachdem Schreckliches geschehen war. Nichts, woran er die Schuld trug, doch er konnte den Anblick der Folgen nicht ertragen, also war er auf die Suche nach dem Gedankenstein seines Volkes gegangen. Sie hatte ihm dabei geholfen. Was
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