Soehne des Lichts
Störung Eures Schlafes, edle Dame. Ihr müsst sofort in den Thronsaal kommen.“
Er sah die tiefe Beunruhigung, die das liebliche Gesicht für einen Moment überschattete, dann sprang sie anmutig auf und glitt in ihre Schuhe, die vor dem Bett bereitgestanden hatten.
„Wenn man einen Geweihten in das Schlafzimmer einer Dame schickt, muss es wirklich ernste Gründe dafür geben“, sagte sie leichthin – keine Frage, eine schlichte Feststellung.
„Sehr ernst, es tut mir leid.“
Vor der Tür warteten vier seiner Brüder, ausgebildete,
kampferfahrene Sonnenpriester, die bereits gegen Hexen oder Elfen ihren Mann gestanden hatten. Er bemerkte, wie die Dame bei ihrem Anblick zusammenzuckte, sich aber rasch wieder in der Gewalt hatte.
„Wo ist meine Zofe?“, fragte sie zu Janiels Überraschung. „Jemand soll nach ihr schicken, damit sie auf mein Gepäck aufpasst. Es scheint ja, als würde diese Angelegenheit meine Reisepläne stören.“
Ihr Ton zeugte von so viel Missbilligung, dass Janiel sich leicht vor ihr verneigte. „Seid versichert, edle Dame, man wird dafür Sorge tragen.“ Sie nickte ihm huldvoll zu und schritt weiter aufrecht und unbekümmert zwischen den Priestern einher, als wäre das ihre persönliche Schutzgarde. Wie eine Gefangene wirkte sie gewiss nicht, und sie war ja auch keine – noch nicht.
Janiel betete, dass sich das nicht ändern würde. Er wusste, sollte sie schuldig sein, würde man weder auf Jugend noch Schönheit Rücksicht nehmen.
Inanis Inneres fror zu Eis, als sie die Versammlung vor sich sah und verstand, was die ganze Aufregung bedeutete.
Ilat hing lässig im Thron; die Beine weit ausgestreckt balancierte er die Ferse seines linken Stiefels auf dem rechten. Den Kopf hielt er auf der rot gepolsterten Armlehne aufgestützt, sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, wie sehr ihn all dies langweilte. Alanée stand mitten im Raum, sie sprach mit leiser Stimme auf jemanden ein, der am Boden lag. Sechs hochrangige Priester umgaben sie, erkennbar an ihren goldenen Borten, weitere Söhne des Lichts standen in einem geschlossenen Ring um sie herum. Das konnte nur eines bedeuten … Und Inani wusste, wer dort am Boden lag, noch bevor sie Shoras blonde Haare sehen konnte. Als sie näher herantrat, erkannte sie, was die Priester dort taten: Sie versuchten, Shora Eisenzwingen anzulegen. Ihre Hände und Fußgelenke waren bereits gefesselt, ein Stahlband lag unterhalb ihres Rippenbogens. Es fehlte lediglich eine Zwinge um den Hals, damit eine Hexe als körperlich und magisch gebannt galt. Die Eisenfesseln waren mit Tis Segen belegt, der Schutz vor Shoras Magie garantieren sollte.
„Was ist hier los?“ Inanis eisige Stimme durchschnitt den Saal und brachte alle zum Schweigen.
„Deine Mutter ist eine Hexe!“ Alanée kam raschen Schrittes auf sie zu und packte sie hart am Arm. In ihrem Blick lag eine Warnung, die unnötig war. Inani hatte bereits verstanden, was hier geschah: ihre letzte Lektion. Was auch immer sie erwartet hatte, dass es so schlimm sein würde, damit hatte sie wirklich nicht gerechnet.
„Ja, eine Hexe, eine verfluchte Hexe! Ich habe all die Jahre an ihrer Seite gelebt und es nicht bemerkt, sie hat mich geblendet, betrogen, belogen! Genau wie dich, Kind! Ich habe durch Zufall gesehen, dass sie die Statue der Großen Mutter nicht küssen kann, war mir aber noch nicht sicher. Bis gerade eben, wo ich sie erwischte. Ein Neugeborenes wollte sie entführen, ein Kind mit Zauberkräften! Sie wollte es zur Hexe machen, Ti verfluche sie! Das Weib hat es tatsächlich geschafft, das unschuldige Ding fortzuzaubern!“
Inani schwankte zwischen ungläubiger Verwirrung und dem dringenden Wunsch zu lachen. Oder zu schreien. Oder Alanée zu schlagen, bis diese endlich schwieg.
„Lächerlich!“, brach es aus ihr heraus, gegen ihren eigenen Willen. Und lächerlich war es, was Alanée da aufzählte. Würden die Priester auf solch dumme Vorwürfe wirklich hereinfallen? Hexen konnten jede Statue küssen, wenn sie nur Lust dazu hatten, und die Karr-Nacht war noch weit entfernt. Kein neugeborenes Mädchen konnte magische Kräfte besitzen! Ein Blick in die Gesichter der Priester zeigte allerdings, wie gleichgültig es ihnen war. Sie würden Shora foltern, bis sie wussten, ob sie Magie besaß oder nicht.
Und Inani musste hilflos zusehen.
Sie wusste, sie besaß die Macht einzuschreiten. Sie konnte vollständiges Chaos entfesseln, bevor irgendeiner
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