Soehne des Lichts
ihren Augen.
„Ja. Es mag sein, dass die Siuta noch fern ist, aber das spielt keine Rolle. Eine Aufgabe endet, wenn es soweit ist. Der Tag des Frühlingsanfangs ist mehr für jene Schwestern gedacht, die nicht sicher wissen, ob sie wirklich fertig sind oder nicht.“
Alanée verschleierte ihr uraltes Gesicht und humpelte mühsam fort.
„Bringt mich irgendwo hin, wo ich schreien kann“, sagte Inani tonlos, die Augen in die Leere gerichtet. Sie zitterte leicht, ließ sich willenlos von Maranis mitziehen. „Ich bleibe hier“, verkündete sie noch einmal.
Dann wusste sie nichts mehr.
11.
„Ein Weib, das der Hexerei überführt ist, muss so rasch wie möglich verbrannt werden. Am besten noch in der gleichen Stunde. Die wahren Töchter der Dunkelheit besitzen unnatürliche Bestien, die bis zu ihrem eigenen Tod kämpfen, um ihre Herrinnen zu schützen, und ihre verdorbenen Schwestern werden nichts unversucht lassen, um sie zu befreien. Wichtig ist, dass sie in von Ti gesegneten Flammen sterben. Man hat von Hexen gehört, die gewöhnliches Feuer überlebt haben.“
Über die Feinde des Lichts, Astamir, Erzpriester von Roen Orm, 238 n. Gründung
„Inani?“ Rosanna legte zögernd die Hand auf die Schultern der schlafenden jungen Frau. Es hatte so lange gedauert, bis das arme Kind Ruhe gefunden hatte. Ihr stilles, lautloses Weinen hatte die Königinmutter mehr verstört als wildes Schreien und Fluchen es vermocht hätte.
Blicklos starrte Inani ins Leere. „Ist es soweit?“, flüsterte sie gebrochen.
„Ja, Liebes. Der Scheiterhaufen ist bereits errichtet, noch vor Sonnenuntergang soll Shora brennen.“
„Hat Kythara etwas gesagt?“ Mit mechanischen Bewegungen erhob sich Inani von ihrem Schlafplatz, ein Deckenlager auf dem Boden eines vergessenen Vorratsraumes, wo sie sicher und ungestört gewesen war.
„Ja. Sie sagte, dass sie wirklich entsetzt über Shoras und Alanées Entscheidung ist, doch sie wird sich nicht dagegen stellen. Niemand wird kommen, um Shora zu retten. Wenn deine Mutter wünschen würde zu leben, wäre sie längst geflohen. Shora beherrscht Luftmagie, genug, um den Priestern das Spiel zu verderben. Sie wäre niemals angeklagt worden! So wie es aussieht, will sie ihr Lebenswerk auf diese Weise beenden, so widersinnig das scheinen mag.“
Rosanna schluckte, fast überwältigt von den Gefühlen, die in ihr tobten. Sie versuchte nicht einmal zu begreifen, was hier geschehen war.
„Ich danke Euch. Es war mein ganzes Leben lang so gewesen. Meine Mutter hat mich geliebt, aber an erster Stelle stand ihre Pflicht gegenüber Pya. Sie hat alles getan, um mich zu dem zu machen, was sie für richtig hielt.“
Inani schwankte nicht, sie blieb vollkommen aufrecht und
unbewegt. Mit Maranis‘ Hilfe zog sie das einfaches Kleid einer Dienstmagd an und versteckte ihr verräterisches Haar unter einem Kopftuch.
„Ihr müsst nicht mitkommen“, sagte sie, „vor allem du nicht, Maranis. Du bist noch so jung, es gibt schöneres, als eine Hexe brennen zu sehen.“
„Kythara hat uns allen dreien verboten, es mit anzusehen. Es werden sämtliche Sonnenpriester der Stadt und der näheren Umgebung anwesend sein, und ich stehe bereits unter Verdacht. Sie will nicht, dass heute noch mehr Schwestern den Tod finden.“ Rosanna seufzte. „Ich würde es riskieren, um dir beizustehen. Du solltest nicht allein dort draußen stehen, Inani.“
Die junge Hexe lachte kalt. „Kythara lässt mich nicht allein, dass wisst Ihr selbst.“
Bevor die Königinmutter sie zurückhalten konnte, eilte Inani bereits aus dem Raum, ohne ein Wort des Abschieds.
„Ob sie es versuchen wird?“, fragte Maranis mit weit aufgerissenen Augen. „Wird sie ihre Mutter befreien wollen?“
„Wahrscheinlich nicht. Sowohl Alanée als auch Shora haben ihre Lebensaufgabe beendet und werden heute sterben, ob nun durchs Feuer oder anderweitig. Aber ich mache mir große Sorgen, ob Inani das alles verkraften wird. Sie ist gerade Anfang zwanzig, gestern war sie noch ein Kind! Inani ist viel zu emotional und keineswegs innerlich ausgeglichen. Verflucht, was haben diese von Pya verlassenen Weiber sich da bloß gedacht?“
Inani schwebte ungehindert durch die Menschenmassen. Sie sah weder nach links noch nach rechts, kümmerte sich um nichts und niemanden. Wen sie anrempelte, der wartete vergeblich auf eine Entschuldigung. Unbeirrt schritt sie voran, auf den Scheiterhaufen zu, den man vor dem Ti-Tempel errichtet hatte. Keine vier
Weitere Kostenlose Bücher