Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Soehne des Lichts

Soehne des Lichts

Titel: Soehne des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Balzer
Vom Netzwerk:
musste allerdings innerlich lächeln – sogar ihre eigene Familie hätte nicht so viel Aufheben um ihre Wunden betrieben. Immerhin war sie eine Kriegerin! Die Menschen waren wohl besorgter um solche Kleinigkeiten. Oder vielleicht lag es bloß an Thamar selbst, an seinem Schuldgefühl, das er beharrlich aufrecht erhielt? Schuld, weil sein Handeln dazu geführt hatte, dass Avanya nun eine Verstoßene war. Sie gab ihm diese Schuld nicht, konnte sie ihm aber auch nicht nehmen. Wenigstens an diesem Abend hatte sie ihn überreden können, dass er sie wachen ließ. Er hatte kaum Kraft zum Protestieren besessen.
    Avanya schmunzelte matt und legte den Kopf auf die Knie, die sie fest an den Körper gezogen hatte. Sie wünschte beinahe, er wäre wach und könnte mit ihr reden. Die Gerüche der Welt bedrängten sie, die Eindrücke von nasser Erde, feuchten Blättern, Gras, Bäumen, Rauch, brennendem, schwelenden Holz, die Reste ihres Abendessens, Leder, Stoff, der leichte Duft, der Thamar zueigen war. Tagsüber nahm sie all dies kaum wahr, in der Nacht hingegen ... Die Dunkelheit erdrückte sie, von allen Seiten. In Nola-Tunneln war es niemals dunkel, die Bergkristalle in ihrem Zuhause leuchteten Tag und Nacht und tauchten alles in ein verwunschenes, weißes Licht.
    Nicht, tu es dir nicht an!
    Es tat so weh, an all das zu denken, was sie verloren hatte. Avanya starrte ins Feuer, bis ihre Augen brannten, sie belastete absichtlich ihre Wunden, bis der Schmerz unerträglich wurde. Es half ein wenig, dennoch kehrten die Bilder immer wieder zurück. Sie hatte ihre Familie verloren. Ihre Heimat. Alles, wofür sie gelebt hatte.
    Thamar brauchte sie nicht, sie war ein Hindernis für ihn.
    Ohne sie würde er in eine Menschenstadt gehen und dort überwintern, um seine Nachforschung nach diesem seltsamen Splitter anzustellen. Mit ihr musste er in der Wildnis ausharren. Vielleicht sogar erfrieren.
    Ich sollte ihn verlassen. Er ist ein netter Mensch, ein guter Mensch. Was soll er sich mit einer dummen Nola abplagen, einer unfähigen Kriegerin? Warum habe ich mich auch von diesem Chyrsk verletzen lassen, dass die anderen mich für tot hielten? Nun weinen sie um mich, glauben, ein Mensch hat mich verschleppt und zu Tode gefoltert. Womöglich sind sie stolz, weil ich sie ja offensichtlich nicht verraten habe?
    Avanya seufzte tief. Sie würde ihn verlassen. Bald. Nicht sofort, noch brauchte sie ihn, ihn und seine Hilfe, und er sollte wissen, was sie vorhatte. Wenn sie einfach weglief, würde er ihr folgen. Er war wirklich ein guter Mann. Zu gut für ihren Seelenfrieden.
     
    Thamar erwachte, als der Duft von frischem Kräutertee seine Nase kitzelte. Er richtete sich auf, überrascht von der Tatsache, dass es bereits hell war.
    „Avanya, du hättest mich wecken sollen! Du musst dich schonen!“ Er seufzte und unterdrückte hastig ein Gähnen. Es war nicht zu leugnen, dass eine ganze Nacht Schlaf ihm wohl getan hatte.
    „Du hast so schön friedlich dagelegen, da konnte ich dich nicht stören“, erwiderte sie lachend. „Und Thamar, bitte, ich bin kein kleines Kind mehr. Ich weiß nicht, was bei euch Menschen üblich ist. Nola, vor allem Krieger, sind es gewohnt, ihre Pflichten zu erfüllen. Mein Kopf ist hart, der kleine Schlag hat mich nicht umgebracht! Komm, frühstücke erst mal, danach kannst du dich über meine Wunden aufregen.“
    Thamar grummelte, er war noch nicht vollständig wach. Dennoch erkannte er, dass Avanya zwar lächelte und ihn sanft verspottete, ihr Blick aber abwesend und ihr Gesicht beinahe farblos war. Schon seit dem ersten Tag strahlte sie tiefe Traurigkeit aus, heute Morgen war es schlimmer denn je. Er wusste, dass sie eine Kriegerin war und versuchte sich ständig zu ermahnen, sie als solche zu behandeln. Doch das fiel ihm schwer. Sie sah so zerbrechlich aus, wie ein kleines Kind. Gerade in solchen Momenten, in denen sie ihren Kummer kaum verstecken konnte, quälte er sich mit Selbstvorwürfen darüber, sich eingemischt zu haben. Er hatte Gutes tun wollen und Avanya dadurch von ihrem Clan gerissen …
    „Vermisst du deine Familie?“, fragte er behutsam.
    „Nein. Oder ja, selbstverständlich vermisse ich sie, das ist allerdings nicht der Grund. Ich mache mir Sorgen.“ Sie seufzte und sah ihn voll an. „Wir brauchen einen Ort zum Überwintern, es wird sehr bald kalt werden.“
    „Woher weißt du das?“
    „Thamar, auch wenn Nola in Tunneln leben und mit dem Wetter sonst nichts zu schaffen haben, wir wissen, wie

Weitere Kostenlose Bücher