Söhne und Planeten
dass er nicht übertreibe, sondern dass ich einen ernsthaften, religiösen, braven Mann getroffen hatte und dass sein Ausruf wahrhaftig ein Zeichen von Dankbarkeit war, dass er, trotz der Situation, in der er sich befand, sagen konnte, seine Familie leide keine Not. »In Ordnung«, sagte ich, »ehrlicher Mann, das ist eine große Gnade für die Armen. Aber wie lebst du selbst, und wie kommt es, dass du verschont geblieben bist vom schrecklichen Unheil, das uns alle bedrängt?« »Ich bin ein Fährmann«, sagte er, »das da ist mein Boot. Und dieses Boot dient mir als Haus. Ich arbeite auf ihm amTag, und in der Nacht schlafe ich darin; und was ich für meine Arbeit bekomme, lege ich auf diesen Stein.« Und er zeigte mir einen breiten Stein auf der anderen Straßenseite, etwas entfernt von seinem Haus. »Und dann«, sagte er, »schreie und rufe ich nach ihnen, bis sie mich hören, und dann kommen sie und nehmen es.«
»Aber mein Freund«, sagte ich, »wie kannst du überhaupt noch Geld verdienen als Fährmann? Nimmt denn noch irgendjemand in diesen Zeiten deine Dienste in Anspruch?« »Jawohl, Sir«, sagte er, »auf meine Art bekomme ich Kundschaft. Sehen Sie dort drüben – fünf Schiffe liegen da vor Anker« – und er deutete den Fluss hinunter, kurz unterhalb der Stadt – »und da oben sind es acht oder zehn, die dort an der Kette oder vor Anker liegen. Alle diese Schiffe haben Familien an Bord, von Händlern und Besitzern und ähnlichen Leuten, und die haben sich selbst dort eingesperrt und leben auf den Schiffen, gut beschützt, aus Angst vor Ansteckung. Und ich kümmere mich um sie und bringe ihnen Sachen, übermittle Briefe und erledige für sie das Allernotwendigste, sodass sie nicht gezwungen sind an Land zu gehen. Und jede Nacht mache ich mein Boot an einem der Schiffe fest, und dann schlafe ich dort, ganz allein, und auf diese Weise, Gott sei Dank, bin ich bis jetzt verschont geblieben.
Erschöpft schloss er die Augen. Geschafft. Von seiner Stirn tropfte der Schweiß auf die aufgeschlagenen Seiten. Er hatte den Absatz bezwungen. Aber nun merkte er auch, dass er ihn schon beim ersten Mal aufgenommen hatte, es war ihm nur nicht rechtbewusst gewesen. Er hatte beinahe jede Zeile wiedererkannt. Etwas Grausames spielte ein Spiel mit ihm. Es war lächerlich, natürlich, gemessen an alltäglichen Vorstellungen von Leistung und Disziplin – was lag schon Heroisches darin, einen Absatz zu lesen? –, aber er, Templ, unterlag inzwischen anderen Maßstäben.
Homme de lettres, dachte er, etwas zerstreut.
Der Begriff hallte in seinem Kopf nach, hohl und bedrohlich wie die Gartenluft nach einem Donnergrollen.
»Nun, Freund«, sagte ich, »werden sie dich überhaupt an Bord kommen lassen, nachdem du an Land gewesen bist, wo man sich so leicht anstecken kann?« »Was das betrifft«, sagte er, »ich gehe selten auf das Schiff, sondern bringe alles auf die kleinen Boote, oder ich lege neben dem Schiff an und sie heben die Ladung an Bord. Falls ich aber doch hinaufginge, glaube ich, dass sie keiner Gefahr ausgesetzt wären, weil ich hier nie in irgendein Haus gehe oder irgendjemanden anfasse, nein, nicht einmal meine eigene Familie. Aber dafür sammle ich Vorräte für sie.« »Das allerdings«, sagte ich, »könnte sogar noch schlimmer sein, denn diese Vorräte musst du ja von irgendwem erhalten haben, und da dieser Teil der Stadt so sehr verseucht ist, ist es schon gefährlich, überhaupt mit jemandem zu sprechen, denn der Ort ist, so wie er es immer war, ein Vorort von London, obwohl er in einiger Distanz dazu liegt.« »Das ist wahr«, sagte er, »aber du verstehst mich nicht richtig; ich kaufe die Vorräte nicht hier. Ich fahre rauf nach Greenwich und kaufe dort frisches Fleisch, manchmalfahre ich auch den Fluss hinunter nach Woolwich und kaufe dort; dann gehe ich zu den Farmen bei Kent, wo ich bekannt bin, und kaufe Geflügel und Eier und Butter und beliefere die Schiffe, so wie sie es wünschen, mal das eine, mal das andere. Ich komme selten hier an Land und bin jetzt auch nur gekommen, um meine Frau zu rufen und zu erfahren, wie’s meiner Familie geht, und um ihnen ein wenig Geld zu geben, das ich letzte Nacht bekommen habe.« »Armer Mann«, sagte ich, »wie viel hast du denn bekommen?« »Ich habe vier Schillinge bekommen«, sagte er, »was recht viel ist für einen armen Mann in diesen Zeiten. Aber man hat mir auch einen Sack mit Brot gegeben, einen gesalzenen Fisch und etwas Fleisch; das wird ihnen
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