Söhne und Planeten
verschlossen. In das rechte schwappte und flutete das Wasser; es machte ihm anscheinend nichts aus.
– Ich will das nicht mehr lesen.
Mauser legte die Blätter hin.
– Was?
Kienspanner musste sein Kauen neuerlich unterbrechen.
– Ich hab gesagt: Druck’s ruhig. Nimm auf mich keine Rücksicht.
Kienspanner überlegte einen Augenblick, ob er Mauser mit seiner Geste, den ersten Entwurf seiner langen Rezension zur Abschiedsfeier mitzunehmen, vielleicht verstimmt hatte. Nach einigem Überlegen, unter dem kontinuierlichen Rhythmus des Keksekauens, beschloss er, schwimmen zu gehen. Mauser blieb allein zurück.
Man schwamm zusammen, ohne den Gastgeber, aber der war ohnehin trübsinnig und nicht sehr gesprächig. Die Unterhaltung drehte sich um österreichische Literatur. Der eine war für Hans Lebert, der andere für Thomas Bernhard, ein anderer wieder für Herbert Eisenreich. Kienspanner, der nun ins Gespräch einstieg, war und blieb für Elias Canetti. Über ihn hatte er promoviert und seit seiner Studienzeit hatte ihn dessen Werk nicht mehr losgelassen. Es war, sozusagen, sein Leben. Er hattesich langsam aber dafür restlos an Canetti gewöhnt und ertrug dessen Eigenheiten, Tics und unausrottbaren Irrtümer mit der Versiertheit und liebevollen Ignoranz eines alten Ehegatten. Gerne kritisierte er bestimmte Teile von Canettis Werk, wie etwa die drei Dramen; er konnte sich stundenlang über ihre dramaturgischen Schwächen, ihre allzu deutliche Parabelgestalt und die teilweise misslungenen Figuren auslassen; aber wehe, es stieg jemand aus der Diskussionsrunde in diese Kritik mit ein – diesen Störenfried bat er streng um sofortige Rechtfertigung.
Über Kienspanner gab es eine Welt aus längst verstorbenen Genies, die er, ein einigermaßen gebildeter Friedhofsangestellter des Geistes, postum betreute. Seine wissenschaftliche Tätigkeit, seine monographischen Arbeiten waren im Grunde nichts anderes als Gärtnerarbeit.
Man sprach von Literatur, alle waren auf ihrem Gebiet. Der junge Templ begann gar, Rilke zu zitieren:
O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!
Ein wildes Plätschern folgte diesem Ausruf.
Karl Auer musste kurz untergetaucht sein, denn plötzlich begann er zu husten und sich auf die Brust zu klopfen. Man eilte hinzu, ihm zu helfen. Er hatte Wasser geschluckt und spuckte und fluchte.
Als Auer sich wieder gefangen hatte, setzte sich René Templ in eine Ecke des Schwimmbeckens, das Wasser stieg ihm bis zum Hals, und betrachtete die Gruppe. Ein Strohhut schützte seinen Kopf vor zu starker Sonne.
Karl Auer war aus dem Becken gestiegen und wankte auf das Haus zu, eine Hand immer noch an seinem linken Ohr.
2
Korrekturen
Doch wenn das Weltall ihn zermalmte, so wäre der Mensch nur noch viel edler als das, was ihn tötet, denn er weiß ja, dass er stirbt und welche Überlegenheit ihm gegenüber das Weltall hat. Das Weltall weiß davon nichts
.
Pascal
An Herrn
Heribert Wolf
Helian-Verlag
Lieber Wolf!
Die Korrekturen kommen unerwartet schnell zu einem Ende. Ich bin mit den Heften nun durch, habe sie alle zumindest einmal mit dem Bleistift durchforstet und darf dich nun auf die ersten Versäumnisse deiner Arbeit hinweisen.
Wie lange habe ich darauf gewartet!
Die von dir falsch gelesenen Wörter habe ich unterstrichen:
»Wie lange werde ich noch mein Leben befragen, diesen an allen Stellen verrottenden Haufen Mist, diesen alten, schmutzigen Hafen ? Wie lange werde ich noch, um das Wort eines der größten Poeten unsererZeit zu gebrauchen, dieses göttliche Grabmal bewohnen dürfen?
Wie lange noch werde ich versuchen, meinen Kopf zu einem vollendeten Kuriositätenladen heranzubilden? Wer wird den Erdenkatalog , das Buch der Fragen, weiter schreiben, wenn ich nur mehr Pulver bin?«
(
Buch der Fragen
, S. 3)
In den nächsten Tagen werde ich unseren Freund Mauser besuchen gehen. In seiner Not wird er mich brauchen oder zumindest gerne zu Rate ziehen, da ich ja Ähnliches durchgemacht habe wie er.
Du wirst die kleine Pause in meiner sonst doch sehr verlässlichen Korrespondenz entschuldigen.
Grüße,
Karl Senegger
An Herrn
Karl Senegger
Lieber Karl!
Vielen Dank für die Korrekturen.
Ich habe nun endlich eine Antwort für dich: Fürs Frühjahrsprogramm sehe ich definitiv schwarz, es wird wohl erst im nächsten Herbst erscheinen können.
Herzlichst,
H.
An Herrn
Heribert Wolf
Helian-Verlag
Lieber Wolf!
Der Besuch beim alten Mauser war ungeheuer anstrengend. Eiskaltes, verflucht eiskaltes
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