Söhne und Planeten
mit zusammengekniffenen Augen?
Wie schafft es das Pferd im Bilderrahmen, sich immer genau in die richtige Position zurückzustellen, wenn das Kind es anblickt?
Wozu schleppt der Staubsauger dieses monströse Hinterteil nach?
Wie schreibt man
Bianbaum
?
Was hat die Mutter so verärgert, dass sie das Kind an der Hand in ein riesiges Haus mit anderen Kindern zerrt? Wieso gibt es in diesem Haus keine Wohnungen? Wie heißt der Wetterhahn auf dem Dach dieses Hauses?«
(
Buch der Fragen
, S. 56)
An Herrn
Heribert Wolf
Helian-Verlag
Lieber Wolf!
Ich bin noch immer in dem merkwürdig fiebrigen Zustand, in dem ich von dem Besuch bei Mauser zurückgekommen bin, gefangen. Dieser Templ hat mir ungeahnten Schaden zugefügt.
»Dialektik der politischen Transparenz«, so lauteteine seiner Thesen. (Wie sehr er mich in seiner Art, mir Dinge einfach hinzuknallen, an Victor erinnert! Unerträglich …)
Ich frage natürlich nach. Durch die Medien wird die Politik einsehbar, sagt er, Parlamentsdebatten werden live übertragen, jeden Abend Politiker, die vor der Kamera zu Wort kommen. Dadurch wird, als antirationaler Reflex, die religiöse Priestergottheit einer geheimen Weltregierung generiert: Bilderberger, Freimaurer,
Backward-Masking
, Ufo-Verschwörungen, Geheimgesellschaften etc. Undurchschaubare Mächte als Antwort auf die Durchschaubarkeit der Mächtigen! Ungeheuerlich.
Ich erkläre ihm daraufhin das Wesen der Macht. Macht ist immer gekoppelt mit einer
Ästhetik der Todesverdrängung
. Kaiser- und Pharaonengräber. Grabbeigaben. Die Terrakotta-Armee. Unsterblichkeitsbeteuerungen der Hofangestellten an den chinesischen Kaiser. Reinkarnationsfantasien.
Der Mächtige ist der
wahre Betrogene
, der Betrogenste von allen: Er allein weiß nicht einmal, was das dümmste Kind weiß, wenn es zu denken beginnt – denn er hat sich das Wissen langsam austreiben, abschwatzen lassen: das Wissen um seine Sterblichkeit.
Er hüpft auf seinem Thron auf und ab und ruft: Ich bin der Sohn des Himmels! Und niemand ruft ihn zur Ordnung, da sonst alle Ordnung zerbrechen würde. Denn es braucht dieses ruhende Sturmauge im Chaos: ihn, den dummen Gott, der sich für unsterblich hält und ruhig zu einer Bestie heranreifen kann, solange er nur ja nicht zu sterben beginnt in seinen Gedanken.
Und Templ, gemächlich, zieht seinen Sonnenhutund sagt: Danke für die Belehrung. (Victor, eindeutig Victor …)
Es grüßt dich dein verwirrter
Karl
An Herrn
Karl Senegger
Lieber Karl,
tut mir leid, zu hören, dass du dich nicht wohl fühlst. Du hast mir in deinem Brief nicht auf meine Frage geantwortet, ob wir den Abschnitt weglassen oder doch behalten sollen.
Ich hoffe, dass ich sehr bald eine Entscheidung von dir bekomme.
H.
An Herrn
Heribert Wolf
Helian-Verlag
Lieber Wolf!
Ich muss mich sehr über dich wundern! Interessiert dich denn der Zustand, in den mich dieser unerhörte Besuch bei meinem alten Freund Mauser versetzt hat, überhaupt nicht? Ich kann deine Reaktion nurdamit erklären, dass du sehr, sehr viele Briefe von allen möglichen Leuten bekommst und nicht alles genau durchlesen kannst.
Was die Stelle angeht, bin ich mit dir im Übrigen überhaupt nicht einer Meinung. Ich halte sie für sehr ergreifend, aufrichtig und kühn. Ich will sie unbedingt drinnen haben, so auch die nächste, in der sich wieder Fehler gefunden haben (diesmal unverzeihliche – »witzigen« statt »winzigen«):
»Wozu überhaupt noch länger Fragmente anhäufen gegen den eigenen Ruin ? Wozu die Stimme der verstorbenen Kindheit imitieren? Wozu den Freunden einreden, es erwarte sie im Alter eine große Überraschung? Wozu? Wozu den Tod weitererzählen?
Wozu sich anstrengen, im entsetzlichsten Sinn des Wortes, um eine Frau zu finden, die lange genug stillhält? Aus welchem Grund verlieren die Nadelbäume ihre eingerollten Blätter nicht jeden Abend und erfinden sie am Morgen neu?
Wozu dieses riesige Universum für den winzigen Planeten, der sich als einziger dafür interessiert? Wozu Jahreszeiten für eine Eintagsfliege?
Wie soll das Jenseits funktionieren ohne Erinnerungen, die man so leicht vergisst oder gar für immer verliert, wenn man nur Teile des Gehirns entfernt? Wozu werden wir, wenn wir zu nichts werden?«
(
Buch der Fragen
, S. 60)
An Herrn
Karl Senegger
Lieber Karl,
vielen Dank für die Korrekturen.
Wie schön unser Projekt gedeiht.
Dein H.
3
Die dünner werdende Luft
Do not leave me in this wilderness!
Or, if you do, pay me to stay
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