Söhne und Planeten
her. Es wurde langsam Tag, die Frist, die ihm die Nacht eingeräumt hatte, ging zu Ende. Seinen Körper beherrschte trotz der fünf Stunden Schlaf noch immer eine lähmende Müdigkeit, jene Spielart von Müdigkeit, die mit nackten Füßen unter der Decke den Bettbezug nach kühlen Stellen abtastet: Die Müdigkeit eines Kindes.
Angelika schläft noch … natürlich, natürlich. Einwarmes weibliches Knäuel, verstrickt in Träume, in denen sie gegen sich selbst kämpft und verliert. Was sie wohl erzählen wird?
Weißt du, es war irgendwie total verrückt … Ein Basketballspiel … und überall Papierschlangen auf dem Boden, über die man laufen muss … und der Schiedsrichter hat eines
deiner
Bücher unter den Arm geklemmt, das er andauernd verliert … und dann tanzen plötzlich alle mit Skeletten … Männer in Skelettkostümen … und die haben alle einen schlechten Atem
…
Seit ich ihr das Traumbuch geschenkt habe, sind ihre Träume völlig anders. Sie füllen sich brav mit dem suggestiven Vokabular aus dem Buch. Ein Besen – Omen bevorstehender Not. Ein Ei – Freude über etwas Reines, Jungfräuliches. Ein Skateboard – den Boden unter den Füßen verlieren und die Freude darüber. Ein Finger – der Vater. Der Vater – Versagensängste, bedeckt mit gekräuseltem Barthaar. Armer Victor. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie sie nach einer Psychoanalyse träumen würde.
Thomas schloss noch einmal die Augen. Schonfrist. Victor.
Aber meine Träume sind auch nicht besser, gerade eben … ein knuddelig dicker, zentnerschwerer Arzt in einem Lehnsessel. Zum Beweis irgendeiner These drückt er auf den
Eeeeh
-Knopf seiner Gegensprechanlage, aber statt der Stimme einer Sekretärin die von Oskar Werner aus dem Film »Jules et Jim«:
La vie est neutre
. Der dicke Arzt nickt befriedigt und ich darf gehen.
Leben, neutral. Victor im Krankenhaus, fahlgelbes Licht, ein grotesker Blumenstrauß an Schläuchen. Das Leben neutral. Neutrum. Zumindest anders als die todlose Metaphernwelt, in der wir ein Dritteldes Tages verbringen. Die prekären, anthropologisch schwer erklärbaren Stunden von Selbstzweifel und Ausgesetztsein: vier bis fünf Uhr morgens. Wer da kein Haus hat, gräbt sich ein. Die Stunden, in denen man nach dem Inneren einer sanften Hand verlangt, nach einem Schneckenhaus, einer Decke, einem
Bau
… Victors letzter Versuch als Schriftsteller. Ob er ihn zerstört hat?
Dabei, so viele schöne Dinge in seinem Werk … schöne Dinge, ein Schachproblem, gedruckt auf ein T-Shirt. Das eine Frau trägt, sonst ist sie völlig nackt. Die Frau geht auf die Zehenspitzen, um etwas aus dem obersten Regal zu holen: der Anblick dieser entzückenden Sehnen, die in den Kehlen ihrer durchgestreckten Knie sichtbar werden. Der gestreckte, dehnbare Körper der Frauen … Angelika dagegen, ein zusammengerolltes Fuchsjunges. Ein Kätzchen aus Wolle.
Thomas betrachtete seine Frau, seine Hand schwebte unsicher über ihr.
Schön vorsichtig, damit die Berührung sie nicht weckt. Herrliche Schenkel. Und ihr Hintern, halb verdeckt, wie es mich wahnsinnig macht … Ich liebe die Stelle oberhalb ihrer Pobacken, die annähernd dreieckige, kleine, flaumige Stelle. Fell. Flaum. Lippen, flaumig, ein Kuss.
Eine Erektion und Stunden später wird dein bester Freund begraben. Victor in einem Sarg. Am späteren Nachmittag erst, trotzdem ein merkwürdiges Gefühl.
Persistence
… wie sagt man auf Deutsch? So früh am Morgen vermischen sich die Sprachen gern. Sie tun so, als wären sie im Grunde eine Sprache. Eine schöne Utopie. Hüfte, thigh, anca. Flanke, fianco. Das eckige L verliert sich,
ia
, in einer geschwungenenLinie mit der Zunge, einer Kaubewegung. Das weibliche, kurvenreiche Italienisch.
Nur ein wenig gegen sie drücken, gegen ihre Schenkel. Der Freundesverrat, die Erektion gegen ihre Schenkel, Angel, Angelika, meine Penisspitze,
youthful cocktip
,
cockpit
, starrender Blick. Zyklop. Schiebt das Stoffstück beiseite, das ihren Hintern noch bedeckt. Weg damit. Noch bedeckt, beiseite, das Stück Stoff, beiseite. Jetzt fick sie, fick.
Sie ist aus dem Haus gerannt, als hätte ich sie weiß Gott wie verletzt. Dabei müsste sie doch längst wissen, dass Männer nur verletzen können. Die Augenblicke, da nichts und niemand verletzt, aufgespießt, umerzogen oder zermalmt wird, gehören einzig und allein den Müttern, den Erfinderinnen der Musik. Balsam der Kultur. Mütter haben die Melodie, die gesummte Melodie erfunden, die hohe,
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