Söhne und Planeten
Stadt. Und im hell erleuchteten Krankenhaus gegenüber sah man sehr deutlich eine schwarze Silhouette am Fenster. Gerd hatte gesagt:
Da, schau … da sitzt ein einsamer Mensch am Fenster und schaut in die Nacht, und wir gehören dazu
.
Woher nahm er die Fähigkeit, solche Sätze zu sagen?
Jan und Nina
Es ist wahrscheinlich eine Folge der veruntreuten Jugend, wenn man selbst allmählich zur kritischen Rahmenhandlung einer Reihe unbedeutender Ereignisse wird
.
v. s.
Air
von Victor Senegger
für N.
Die gekrümmte Haltung weist auf eine Fehlbildung der Wirbelsäule hin. Samenspuren. Der Zeppelin ist vielleicht ein wenig zu groß, aber die assoziative Freude, die er gebildeten Feinschmeckern vermittelt, ist immer noch zufrieden stellend. So sagen zumindest die Leute, die mit den Knien zuerst aufkommen. Man nennt sie auch Beter. Es ist, glaube ich, eine Luftbrücke, das Gebet, so ähnlich wie der Tiefseegang eines Tintenfischs, der mit seinen Tentakeln um das Gesicht eines Tauchers gebunden ist. Tiefseegang, Tintenfisch, Tentakel, Taucher. Runic Rhymes. Klalang, Klalang! Klalangklang, klangklang – Klang! Klalang, Klalang! Die Glocken, die langsam zu einer Einheit zusammenklingen, während sich in den Stauzonen der Beziehungen die Wärme erhöht. Der Wärmetod ist allerdings nur einer von vielen Schlusspunkten. Die Bratpfanne ist ein weiterer. Sie ist einwenig schwieriger zu umgehen, da sie kein Ziel bildet. Sie ist voller Fische, die glänzen wie ein Auge unter dem Fallbeil, aber es ist Sommer und glänzende Oberflächen machen praktisch den ganzen Tag aus. Ich glaube nicht, dass wir versuchen sollten, uns gegen die sommerliche Notengebung unter den Bäumen und unter Geheimhaltung verschiedener Zutaten zu wehren. Immerhin waren es unsere Herzen, die sich im trägen Aufwind zusammenklappen ließen, einfach zusammenklappen, wie ein Mann, dem man zwischen die Beine tritt. In einem einzigen Augenblick schrumpfen die Möglichkeiten zu einer Münze zusammen, die selbst der zahnlose Säugling zermalmen kann, sofern er nicht in die Liegestellung eines Weibchens verfällt. Ein männlicher Säugling, zusammengeklappt wie ein Weibchen. Manche benehmen sich in seiner Gegenwart völlig ungezwungen und setzen sich auf ihn und studieren eine Zeitung. Er wimmert, aber das gehört zum Geschöpf. Geschäft. Geschöpf, Geschäft. Mittäterschaft der Runen, zum Zweiten. Die Wiederaufnahme des Krönungskonzerts ist eine der vielen Randbedingungen zu den Vorbereitungen eines wetterfesten Sommers. Mit wenigen Griffen verständigen sich die Arbeiter. Wenn sie irgendwann purzeln, herab oder hinauf, oder, wie in manchen Fällen, direkt in den Farbtopf mit den Fischköpfen, bringt uns das eine Zeile mehr ein. Die Ritterrüstung auf dem Balkon, die Konferenz der Pinguine im Hofgarten und die langsame Besetzung eines öden Geländes durch das Heer der Obdachlosen – wie oft wird es sich wiederholen. Denn bei gegebenen n Elementen sind die Möglichkeiten der Urheberschaft begrenzt. Die Richtererliegen meist schon nach wenigen Minuten ihrem Atomgewicht und sichern sich so ihren Platz in der Ewigkeit. Ein Fußballstadion bei Nacht mit blau knisterndem Mond ist nichts dagegen. Klalang, Klalang! Die Runenreime der Glocken über den Dächern. Der Seiltänzer folgt vielen Spuren, doch wäre es absurd zu behaupten, er bräuchte zu seinem edlen Vorhaben Schuhe, nur weil sich seine Aufmerksamkeit merkwürdig steigert, je näher er dem Kristalldom kommt. Auf Zehenspitzen ist man leichter und man hält sich nicht den Bauch vor Lachen, sondern den Kehlkopf. Klalang. Der Kehlkopf, Klalaklang, Klang. Runen. Die Bauchdecke. Der Stuhl. Der Korb. Die Flasche. Das Holz. Der Beißring. Klalangang. Die Schuhe. Die offenen Münder der Schuhe, die im Hausflur warten, dass man sie mit Sand füllt, staunend, wetterhungrig, wie sterbende Fische auf der Sonnenbank.
– Ich versteh das nicht. Was will er damit?
– Nichts. Was soll er wollen?
– Wenn er nichts will, warum schreibt er dann?
– Er schreibt, damit es existiert, sagte Nina.
– Das versteht doch niemand.
– Er sagt ja selbst, das Kind, das nach einer Ohrfeige zu seinem Schreibtisch stürzt und dort ein Gedicht über die Ungerechtigkeit der Welt schreibt, ist zutiefst lächerlich, fast hassenswert …
– Aber der Text ist völliger Nonsens, beharrte Jan. Ist es nun das kunstvolle Gestammel eines Verzweifelten oder das verzweifelte Gestammel eines Künstlers? Ich finde, es ist unerhört einfach,
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