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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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Vater. Sein Leben war verpfuscht. Und mir würde es eines Tages genauso ergehen. Sollte es zu der Versetzung kommen, würde mein Vater eingehen wie eine Primel, dachte ich. Erzurum würde sein Grab werden. Ich verfiel in tiefe Melancholie. Ich war wohl auch ein wenig beschwipst. Ich trat hinaus auf den Balkon. Es war dunkel, die Straßenlaternen brannten. Draußen war kaum jemand zu sehen. Ich warf einen Blick auf den Nachbarsbalkon. Alev Abla war nicht da, wohl aber ihre Blumen. Ich holte tief Luft. »Erdoğaaan, du Aaarsch!«, schrie ich, so laut ich konnte. Ich kippte noch einen Rest Bier hinunter. »Erdoğaaan, du Doppelaaarsch!« Ich würde nicht zulassen, dass sie meinen Vater unter die Erde brachten. Plötzlich überkam mich der unzähmbare Wunsch, hinauszugehen. Sofort begab ich mich zu meinem Vater. Das Spiel hatte angefangen. »Siehst du dir das Spiel nicht an?«, fragte er.
    »Nein«, antwortete ich, »ich gehe ein bisschen an die frische Luft.«
    Er sah mich kurz an. »Warst du das, der da eben so geschrien hat?«
    »Hat jemand geschrien? Was hat er denn geschrien?«
    Lachend wandte er sich wieder dem Fernseher zu. »Bleib nicht zu lange.«
    Es zählte nicht zu meinen Gepflogenheiten, nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße zu gehen, aber hin und wieder machte es mir Spaß. In der Regel machte ich eine Tour durch die weiter unten gelegenen Viertel. Manchmal traf ich zufällig jemanden von uns. Weiß der Himmel, warum er um diese Zeit draußen unterwegs war. Unsere Gespräche zu später Stunde gingen weniger geräuschvoll vonstatten als tagsüber. Meist setzten wir uns in eine Ecke und tauschten in Ruhe unsere Probleme aus. Die Nacht bringt uns alle unseren Ängsten und Nöten näher. Zu hören, was sogar den Taugenichts Cemalettin und den Hänfling nervte, versetzte mich jedes Mal in höchstes Erstaunen. In solchen Momenten begriff ich immer am besten, warum der Mensch trotz allem die Nähe eines anderen Menschen braucht.
    Ich hatte keine große Lust, herumzulaufen. Ich setzte mich im Hauseingang auf die Treppe und lehnte mich mit dem Rücken an die Tür. Aus der Dachwohnung des pensionierten Polizeidirektors Hicabi Bey wurde das Fußballspiel über die gesamte Nachbarschaft ausgestrahlt. Hicabi Bey war um die Mitte sechzig und taub wie eine Nuss, weswegen er die Lautstärke an seinem Fernseher stets bis zum Anschlag aufdrehte. Das zweistöckige Haus gehörte ihm komplett, aber wegen des Krachs, den er machte, und seiner absolut unerträglichen Art fand er einfach keinen Mieter für die Erdgeschosswohnung, und »folglich« stand sie leer. Aus alter Berufsgewohnheit fühlte er sich zudem für die öffentliche Ordnung im Viertel verantwortlich. Er trennte Kinder, die sich prügelten, geriet mit Leuten aneinander, die ihren Müll in die Gegend warfen, und schlichtete bei Nachbarschaftsstreitigkeiten. Bei ihm rieselte halt ein wenig der Kalk.
    Auf der Straße sagten einander Fuchs und Hase gute Nacht. Die einzig nennenswerte Bewegung kam von den Straßenhunden, die im Müll wühlten. Wie ich sah, waren auch Pluto und Rex unter ihnen. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, nach oben zu spurten, das Rattengift zu holen und unter den Müll zu mischen, mit dem sie sich vollfraßen, aber das war nicht mein Ding. Wer weiß, vielleicht war ich auch einfach nur zu faul. In dem Moment drangen Schritte an mein Ohr. Schritte von jemandem, der rannte. Ich drehte den Kopf in die entsprechende Richtung und sah, wie eine schmale Silhouette in einem Haus auf unserer Straßenseite verschwand. Es sah ganz danach aus, als sei sie ins Güzelyayla hineingegangen, aber sicher war ich mir nicht. Ich stand auf, um nachzusehen. Aber sehen konnte ich nichts. Auch die Schritte waren verhallt. Ich hatte mich gerade in Richtung Güzelyayla bewegt, weil Cemalettin ja vielleicht im Garten war und wir ein wenig schwatzen könnten, als jemand rief: »Hey, junger Mann!« Die Stimme kannte ich nur zu gut. Sofort hob ich den Kopf. Alev Abla sah vom Balkon zu mir herunter. »Was machst du denn da draußen?«
    »Ich wollte ein wenig Luft schnappen.«
    »Um diese Zeit?«
    Jedem anderen hätte ich eine freche Antwort gegeben, aber bei ihr begnügte ich mich mit einem Kopfnicken. »Du bist mir vielleicht ein seltsamer Junge«, sagte sie. »Soll ich dir Gesellschaft leisten?«
    Natürlich zog ich sie Cemalettin tausendmal vor. »Klar«, meinte ich, »ich warte.«
    »Okay, ich komme sofort runter.«
    Keine Minute später war sie bei mir. Die

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