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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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er mich.«
    »Daran habe ich keinerlei Zweifel«, sagte ich eilig. »Wie heißt sie? Wie wird sie euer Leben zerstören? Du musst es mir erzählen. Vielleicht kann ich helfen.«
    »Uff! Ich kenne ihren Namen nicht. Erkin hat uns nicht viel von ihr erzählt. Er hat sich nämlich geschämt, weil sie eine Hure ist.« Sie fing an, stockend zu atmen, und das war kein gutes Zeichen. In Kürze würde sie alles von sich geben, was in ihr war. Nachdem ich das Fenster geöffnet hatte, um etwas frische Luft hereinzulassen, ging ich wieder zu ihr zurück. »Dieser Polizist, der ermordet wurde«, murmelte sie, »er war kein guter Mensch. Ich weiß das. Ich glaube, das Mädchen hatte ein Problem mit ihm. Ich weiß nicht genau, aber ich meine, das Weib hat Erkin angestachelt, den Bullen umzubringen. Und weil sie ihn nicht rumgekriegt hat, hat sie es selbst gemacht. Ja, diese Nutte hat den Mord begangen!«
    Die Art, wie sie die beiden letzten Sätze gesagt hatte, ließ in mir den Gedanken aufkommen, dass sie etwas verbarg. Um das herauszufinden, musste ich mich eines Bluffs bedienen. »In der Mordnacht hab ich gesehen, wie Erkin Abi Hicabi Beys Haus verließ und hier hereinging«, sagte ich mit all meiner faschistischen Erbarmungslosigkeit.
    Plötzlich richtete sie ihre gar nicht mehr so blöd dreinblickenden Augen auf mich. Sie versuchte herauszufinden, ob ich die Wahrheit sagte. Sie war ein intelligentes Mädchen, um ehrlich zu sein. Aber natürlich nicht so intelligent wie ich. Sie holte tief Luft und begann mit ihrer Story: »Einen Tag vor dem Mord hörte ich, wie Erkin mit Koray über irgendwelche Fotos sprach. Fotos, die der Alte besaß. Erkin wollte, dass Koray ihm dabei half, diese Fotos zu besorgen, aber Koray lehnte ab. Deswegen haben sie auch gestritten.«
    »Was für Fotos waren das?«
    »Ich weiß es nicht«, schrie sie aufgebracht. »Deshalb ist Erkin ja in jener Nacht zu dem Polizisten gegangen, kapierst du das? Um diese Fotos zu holen. Als er um Mitternacht zurückkam, war ich noch wach. Er war in einem grauenvollen Zustand. Er sagte, der Polizist sei tot. Dann packte er schnell seinen Kram zusammen und verduftete. Ich weiß nicht, wo er ist, aber ich bin sicher, dass er den Mord nicht begangen hat.«
    »Wieso?«
    »Weil er nicht buddhistischer Mönch werden kann, wenn er einen Mord begangen hat.«
    Ich senkte den Kopf. »Ich verstehe.«
    Als ein Knarren an der Eingangstür zu hören war, klammerte sie sich wieder an meine Hände. Wenn ich mich nicht irrte, hatte sie sich in mich verliebt. Aber ich konnte mich natürlich irren. Eine Sekunde später glotzte uns Koray Abi mit zwei großen Tüten voller Bierdosen in der Hand blöd an. »Yeşim! Wo kommt der Junge denn her?«
    Zum ersten Mal wurde ich beim Zusammensein mit einem Mädchen in flagranti von ihrem Freund erwischt. Gar nicht schlecht für einen Fünfjährigen. Ich machte flotte Fortschritte. »Du hast einen sehr schönen Namen, Yeşim«, sagte ich und platzierte einen Kuss nahe an ihren Mundwinkel, dann ging ich mit entschlossenen Schritten auf meinen Konkurrenten zu. »Pass bloß auf, was du tust. Ich werde dich genau beobachten.« Doch sofort bereute ich, was ich getan hatte. Erstens hatte das Gespräch mit Yeşim gezeigt, dass Koray Abi eine Menge wusste und es von großem Nutzen für mich wäre, seine Aussage aufzunehmen. Zweitens konnte es, so stark die Persönlichkeit auch war, leicht ins Lächerliche gehen, jemandem zu drohen, der einen Meter größer war als man selbst.
    Auch wenn ich nicht gerade einen Höhenflug erlebte, so war ich doch ein wenig stolz auf mich. Warum auch nicht? Ich stand kurz davor, die Identität des Mörders zu ermitteln. Ich würde den verrückten Ertan retten. Ich würde Metin Bilgin zeigen, wer ich war. Ich war ein attraktiver Mann. Ich will allerdings nicht verschweigen, dass diese Bewunderung meiner selbst ein wenig überschattet war von einer unbestimmten Scham. Das mochte daran liegen, dass ich zum ersten Mal ein Mädchen »so« geküsst hatte, dass ich sie hereingelegt hatte, um sie zum Reden zu bringen, oder vielleicht daran, dass Glück mir nicht vergönnt war. Natürlich war es auch möglich, dass ich mich unwohl dabei fühlte, mein Glück auf Erkin Abis Untergang aufzubauen. Wenn man Yeşims Pläne für ihn mitberücksichtigte, wäre es für Erkin Abi womöglich gar nicht so übel, die nächsten dreißig Jahre im Knast zu verbringen. Sie sehen schon, ich war vollkommen verwirrt. Der Eintritt in die Männerwelt war

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