Söhne und siechende Seelen
ertönte. Eine Art Horrormusik, erzeugt von einer Band, deren einzige Motivation darin bestand, die Instrumente zu schreddern, und einem Typ, der sich den Arsch aufriss und vorgab, zu singen. Das Mädchen machte ein Bier auf und legte sich aufs Sofa. »Kann ich das ein wenig leiser stellen?«, fragte ich und zeigte dabei auf die Anlage.
»Nervtöter«, lautete ihre Antwort.
Ich wertete das als Bestätigung, und während ich die Lautstärke reduzierte, sagte ich: »Hundert Prozent. Die Musik kann einem echt den letzten Nerv töten.«
Sie stieß ein kindisches Lachen aus. »Das meine ich nicht! Die Band heißt so: Nervtöter!« Sie setzte das Bier so an, dass ich meinte, dass sie dabei gut und gern die Hälfte hinunterkippte. »Die machen geile Musik. Vor allem der Sänger ist einfach super.«
»Mir kam es eher so vor, als würde er blöken.« Ich nahm mir ein Polster vom Sofa, warf es auf den Boden und platzierte meinen kleinen Hintern darauf.
»Du musst die Musik spüren«, meinte sie und zeichnete mit ihrem Arm dem Rhythmus folgend eine riesige Acht in die Luft. »Er bringt den Schmerz zum Ausdruck, indem er ihn hinausschreit.«
»Wahrer Schmerz ist still«, sagte ich. »Wie in einem Altenheim.«
Durch Aufstützen versuchte sie sich aufzurichten, doch als ihr Ellbogen abrutschte, knallte sie mit dem Kopf auf die Armlehne. Mit einem Schmerzensschrei führte sie ihre Hand an den Kopf und massierte die betroffene Stelle. Ihre Bewegungen wurden allmählich aggressiver, und schließlich heulte sie einfach drauf los. »Oh Gott, ich will sterben, sterben will ich!«, brüllte sie nebenbei auch noch lautstark.
Ich war felsenfest davon überzeugt, dass das Weinen für eine Frau ein allzeit erstrebenswerter Seelenzustand war. Ähnlich der Neigung eines in die Luft geworfenen Gegenstandes, auf die Erde zurückzufallen. Deshalb überließ ich sie sich selbst. Nach einer Weile verstummte sie. Sie trank den Rest ihres Bieres aus und setzte sich unter großen Mühen auf. Ihr Blick war starr und auch ein wenig angsteinflößend. »Wie in einem Altenheim«, murmelte sie.
»Häng dich nicht so sehr an meinen Worten auf«, sagte ich genervt. »So ein Zeug gebe ich häufig von mir.«
Sie schlurfte aus dem Zimmer, und als sie zurückkam, hatte sie eine neue Bierdose in der Hand. Diesmal legte sie sich nicht aufs Sofa, sondern setzte sich und zog ein Bein unter sich. Wieder stürzte sie das Bier mit derselben Unbekümmertheit hinunter. Ein-, zweimal schluchzte sie. »Worüber willst du mit Koray reden?«
»Wenn er so säuft wie du, dann über gar nichts«, antwortete ich.
»Bist du ein Zwerg?«
»Das weiß ich nicht. Das wird die Zeit zeigen.«
»Du bist ein Zwerg«, sagte sie und trank weiter. »Über Zwerge lache ich mich immer kaputt.«
Plötzlich war ich fuchsteufelswild. »Eben hast du aber noch geheult wie ein Schlosshund.«
Sie schluckte, ließ ihren säuerlichen Blick durch den Raum schweifen und massierte sich die Schläfen. Ich dachte, dass sie sich ziemlich bald übergeben würde. »Du bist widerlich«, sagte sie und verzog dabei angeekelt ihren Mund. »Ihr seid alle widerlich. Alle Männer. Junge, alte, Knaben, Zwerge … Ihr alle.«
»Stimmt, aber ihr seid auch nicht viel besser«, meinte ich und erhob mich. Ich trat zu ihr, nahm ihr die Bierdose ab und stürzte das Bier hinunter. Verblüfft sah sie mir ins Gesicht. Ich nahm noch einen großen Schluck. »Ihr flüchtet vor der Auseinandersetzung mit euch selbst und instrumentalisiert stattdessen die dämlichen Männer für eure niederträchtigen Gelüste. Wenn eure Wünsche in Erfüllung gehen, kriegt ihr Anfälle von Reue, und wenn nicht, dann erleidet ihr Anfälle von Hysterie.«
Sie starrte leer vor sich hin. Sie war nicht in der Verfassung, meine Worte zu verstehen. Dann nahm sie sich ihr Bier zurück und brummelte: »Wo bleibt dieser Blödmann bloß?«
In dem Moment fiel mir wieder ein, dass ich mich ja in der Wohnung eines der Verdächtigen befand. Womöglich wusste das Mädchen etwas über den Mord. Vielleicht konnte ich mir ihre Trunkenheit zunutze machen und etwas aus ihr herauskriegen. Ich entschied, meinen Druck noch ein wenig zu erhöhen. Allerdings mit kürzeren Sätzen. »Vielleicht kommt er gar nicht mehr. Ich an seiner Stelle tät’s nicht. Die Polizei denkt, dass Erkin Abi flüchtet, weil er der Mörder ist, aber ich glaube, er flüchtet vor dir.«
»Das ist eine Lüge!«, schrie sie mit funkelnden Augen. »Erkin liebt mich sehr. Mann, er
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