Söhne und siechende Seelen
gar nicht so einfach.
Ich hatte gerade einige Schritte in Richtung Ausgang gemacht, als ich den Körper bemerkte, der sich stocksteif vor der Haustür aufbaute. In dem Augenblick, in dem ich diesen Menschensohn erkannte, der glückselig lächelte wie ein Zen-Buddhist, der das Nirwana erreicht hatte, verzog sich die Wolke unter meinen Füßen, und ich krachte verdientermaßen auf die Erde zurück. »Sieh an«, zischte Gazanfer und bückte sich, um seine plötzlich auftauchenden Hunde Rex und Pluto am Hals zu kraulen. »Wen seh ich denn da? Einen kleinen Petzer.«
»Und ich sehe drei dreckige Hunde«, sagte ich. Ich glaube, das Leben ist gegen die Natur des Menschen. Zumindest gegen meine.
»Und, wie geht’s?«
Es beunruhigte mich doch sehr, dass er sich mit einem dämlichen Grinsen nach meinem Befinden erkundigte, anstatt einen Wutanfall zu bekommen. Ich vermutete, dass er umso mehr frohlockte, je länger die Liste wurde, für die ich in Kürze zur Rechenschaft gezogen werden sollte. Ich war ehrlich gestanden derart nervös, dass man es mit Fug und Recht mit einem »Ich schiss mir in die Hose« umschreiben konnte. Es wäre sicher von Vorteil, mich ein wenig diplomatischer zu verhalten. »Normal.«
»Normal.« Er hob den Kopf und zeigte sein aufgequollenes und mit blauen Flecken übersätes Gesicht. »Ist das deiner Meinung nach auch normal?«
»Normal. Jeder, der Prügel bezieht, sieht hinterher so aus.«
Gazanfer sah gedankenverloren nach oben. Unentschlossen bewegten sich seine Lippen, dann richtete er sich auf und sagte mit ziemlich zärtlicher Stimme: »Ich reiß dir den Arsch auf.« In dem Moment, in dem er mit einem Fingerzeig auf mich den Befehl zum Angriff gab, begannen Rex und Pluto auch schon hasserfüllt zu knurren. Das Einzige, was ich tun konnte, war, mich umzudrehen und Reißaus zu nehmen in Richtung einzigen Fluchtweg, zur Hintertür des Güzelyayla. Umgehend tat ich das Notwendige. Eine Sekunde später befand ich mich im Garten des Hauses, in dem mein lieber Freund, der rotznasige Cemalettin, und natürlich auch mein Erzfeind Gazanfer wohnten. Weder Cemalettin noch eines seiner zweiundachtzigtausend Familienmitglieder waren zu sehen. Die stets offene Tür war geschlossen, die Gardinen waren fest zugezogen. Die gesamte Familie schien kooperiert zu haben, um für den großen Bruder die passendste Mordkulisse zu schaffen. Vielleicht bereiteten sie sich auch darauf vor, Sonnenblumenkerne knabbernd meine Abschlachtung zu verfolgen. Die Köter hatten sich bereits unter wildem Gebell an meine Fersen geheftet. Ich bedauerte zutiefst, dass ich die beiden an jenem Abend nicht vergiftet und Hicabi Bey mit auf den Weg gegeben hatte.
Panisch verbarrikadierte ich mich in einem der ehemaligen Kohleschuppen. Eine saublöde Idee. Die Hunde hatten sich auf direktem Weg vor mein Versteck begeben. Drinnen gab es keinen Riegel oder Ähnliches, um die Tür geschlossen zu halten. Ich hatte mich selbst in eine aussichtslose Lage gebracht. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis Gazanfer hier war. Innerlich stieß ich einen derben Fluch gegen Onur Çalışkan aus. Als die Schritte näher kamen, fiel mir kein besserer Ausweg ein, als Zeter und Mordio schreiend um Hilfe zu rufen. Andererseits wusste ich, dass mir das kaum nutzen würde. Zudem wollte ich mich vor einem solchen Strolch auch nicht derart erniedrigen. Ich musste mich körperlich auf eine ordentliche Rauferei vorbereiten. Doch als sich die Tür des Kohleschuppens öffnete und ich Nase an Nase mit Gazanfer kam, bewegte sich meine Hand reflexartig zu dem Dallas Gold in meinem Hosenbund. Ohne auch nur im Geringsten zu zögern, schoss ich ihm alle in der Trommel befindlichen Plastikpatronen ins Gesicht. Die ersten Patronen versetzten ihn zunächst nur in Erstaunen. Doch gerade als ich dachte, ich hätte meinen letzten Trumpf ausgespielt und verloren, wich er mit einem fürchterlichen Schrei zurück. Er hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und krümmte sich vor Schmerzen. Ich hatte Gazanfer ins Auge geschossen. Im Kampf ums Überleben stieß ich den Armleuchter weg und stürzte mich zwischen den Hunden hindurch auf die Holzleiter, die an die gegenüberliegenden Kohleschuppen angelehnt stand. In zwei Schritten war ich oben und sah mich nach rechts und links um. Hinunterzusteigen wäre dem Selbstmord gleichgekommen. Gazanfer, den ich zum zweiten Mal innerhalb einer Woche fertiggemacht hatte, war mit aus vielerlei Gründen blutunterlaufenen Augen auf den
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