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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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Wort. Ich verließ den Garten, überquerte hastig die Straße und fing an zu rennen. Unbewusst bewegte ich mich in Richtung Bolzplatz. Der wurde aus irgendeinem Grund »Farm« genannt und lag auf einem riesigen, teilweise buckeligen Gelände. Ich ging die gesamte Fläche entlang und erreichte den Bach am Fuße der Pappeln, die die Farm abgrenzten.
    Ich suchte mir einen geeigneten Baum aus und ließ mich nieder. Meine Lippen waren völlig trocken, meine Hände zitterten wie Espenlaub. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Meine Anspannung war nämlich nicht physiologischer, sondern psychologischer Natur. Ich streckte mich auf der Wiese aus und versuchte, Ruhe zu finden, indem ich mich auf das Rauschen des Bachs konzentrierte. Leider kamen mir immer nur grässliche Dinge in den Sinn. Ein im Gras verborgener Skorpion etwa, der an meinem Kragen hineinkrabbelte und mich biss. Ich betrachtete die bunten Pilze, die überall sprossen. Dass sie giftig waren, hatte mir mein Vater beigebracht. Welche Wirkung sie bei angemessener Dosierung hatten, wusste ich wiederum aus persönlicher Erfahrung.
    Dann ging mir das komische Lied
Qué será, será
durch den Kopf. Ich fühlte mich wie Kafka, der, als Milenas fieberhaft erwarteter Brief nach Wochen endlich im Postkasten lag, das Öffnen dieses Briefs ständig hinauszögerte. Ich brockte einen der Pilze in meiner Reichweite und biss die Hälfte ab. Trotz aufkommender Übelkeit kaute ich lange darauf herum und schluckte ihn dann hinunter. Als ich auch die andere Hälfte in meinem Magen versenkt hatte, öffnete ich den Umschlag und zog den Inhalt heraus. Aufmerksam betrachtete ich jedes einzelne Foto. Ein Mann und eine Frau. In gemeinsamer Aktion. War es Ballett? Akrobatik? Nein, das war es beides nicht. Sie paarten sich. Die Protagonisten besagter Aktivität? Keine Unbekannten. Einer war der verrückte Ertan. Die andere Person war wohl die Frau, von der er bei seiner Aussage auf der Polizei behauptet hatte, sie sie seine Geliebte. Eine schöne Frau. Eine Frau, in deren traurigen Augen stets Sternschnuppen aufleuchteten.
    Nach fünf Minuten auf der Wiese und einigen Pilzen mehr hatte meine ungestüme Seele ihren Frieden gefunden. Eine innere Stimme sagte mir, dass dieses letzte Detail das Bild komplettierte. Ich dachte nach, ohne mir allzu sehr das Hirn zu zermartern, und kam zu dem Schluss, dass ich recht hatte. Ich richtete mich auf, steckte die Fotos in den Umschlag, stopfte diesen in mein T-Shirt und machte mich auf den Rückweg in unser Viertel.
    Ich ging in unser Nachbarhaus in den dritten Stock und klingelte lange an der Wohnung, die durch eine Stahltür mit diversen Riegeln von der Außenwelt abgeschottet war. »Wer ist da?«, war von drinnen eine zittrige Stimme zu hören.
    Ich klingelte noch einmal. Mein Magen brannte wie Feuer. Als Alev Abla endlich öffnete, war sie sichtlich erleichtert, mich zu sehen, und stellte die sinnlose Frage: »Ach, du bist’s?«
    »Darf ich reinkommen?«
    »Ich muss aber gleich weg. Ich ruf dich, wenn ich zurück bin, okay?«
    »Es wird nicht lange dauern«, beharrte ich. »Höchstens fünf Minuten.«
    Nägel knabbernd überlegte sie kurz und gelangte wohl zu der Überzeugung, mich gegebenenfalls leicht loswerden zu können. »Na, wenn das so ist«, bat sie mich herein.
    Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich auf einen der unsäglich geschmacklosen beigefarbenen Sessel am Fenster. Nie zuvor hatte ich mich im Beisein von Alev Abla derart entspannt und angriffslustig gefühlt. »Ist Remziye Teyze nicht da?«
    »Meine Mutter ist für ein paar Wochen ins Dorf gefahren.« Sie redete in ihrem gewohnten Ton einer niedlichen Märchentante, doch ihre angespannte Mimik verriet, dass mein Besuch sie beunruhigte.
    Auf dem Beistelltisch neben meinem Sessel stand die Entenversion des Porzellanesels, den ich in Hicabi Beys Wohnung gesehen hatte. Ich nahm die depperte Ente in die Hand und murmelte: »So ein Pech.«
    »Was gibt’s? Was hast du mit meiner Mutter zu schaffen?«
    »Gott möge dich davor bewahren, aber gestern Abend ist der Teufel ein wenig in mich gefahren, und ich wollte sie bitten, ihn mir wieder auszutreiben. Nun denn, dann muss ich ein, zwei Wochen so zurechtkommen.«
    Alev Abla lachte nicht. »Wolltest du mir etwas sagen?«, fragte sie beunruhigt. Mir fiel auf, dass sie dabei die ganze Zeit versuchte, unbemerkt den Flur im Auge zu behalten.
    Um ihr auch noch den letzten Nerv zu töten, blickte

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