Söhne und siechende Seelen
Alev Abla einen Fausthieb, dass sie zusammen mit dem Couchtisch, der mitten im Raum stand, auf den Boden krachte. »Es soll endlich vorbei sein!«
Es war, als ginge es nicht um mein Leben, sondern als sähe ich mir einen spannenden Film an. »Hattet ihr von Anfang an eingeplant, dass der verrückte Ertan dort sein sollte? Um die Schuld auf ihn abzuwälzen? Oder war das purer Zufall?«
»Halt endlich die Klappe«, sagte Erkin Abi und schleifte mich in Richtung Tür. »Siehst du nicht, dass sie dich umbringen wird? Verschwinde schleunigst von hier.«
Alev Abla tauchte mit einem zerbrochenen Tischbein neben uns auf. Sie brüllte wie ein wildes Tier, als sie das Tischbein auf meinen Kopf niederfahren ließ. Hätte Erkin Abi nicht seinen Arm dazwischengestreckt, hätte sie mir das Gehirn zu Brei geschlagen. Dem Knacken zufolge war der Arm gebrochen. Außer sich vor Wut stand Erkin Abi auf und ging auf unsere Nachbarstochter los. Ohne Rücksicht auf Verluste prügelte er die Frau meiner Träume windelweich. Ich muss zugeben, dass ich einen Moment lang erwog, dazwischenzugehen. Ob Alev Abla mich dann geliebt hätte? Das war natürlich alles Unfug. Um die Gelegenheit zu nutzen, die Erkin Abis kurze Verschnaufpause mir bot, fragte ich: »Habt ihr auch Remziye Teyze ermordet?«
»Kapierst du denn gar nichts, Junge?«, meinte Erkin Abi schweißüberströmt. »Wenn du noch länger bleibst, wird das mit deinem Tod enden.«
»Ich gehe nicht, auch wenn es meinen Tod bedeutet«, sagte ich lachend. »Ich will Antworten auf meine Fragen.«
Um eine neuerliche Attacke Alev Ablas zu vermeiden, platzierte Erkin Abi seine Knie auf ihren Armen. Eine überflüssige Maßnahme, wenn man mich fragt. Alev Abla war fix und fertig. Sie lag bewegungslos da, ihre Augen starr an die Decke gerichtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie tot war, war ausgesprochen hoch. »Wir haben niemanden umgebracht«, sagte Erkin Abi mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Weder den Polizeidirektor noch ihre verfluchte Mutter, diese Zuhälterin.«
Diese Pilze sind ein merkwürdiges Zeug. Man beginnt sogar an so hohle Phrasen wie Weltfrieden und Brüderlichkeit zu glauben. »Ich glaub dir, Abi«, laberte ich, zog den Umschlag unter meinem T-Shirt hervor und drückte ihn ihm in die Hand.
Erkin Abi drehte den Umschlag hin und her und zog die Fotos heraus. Er glotzte mich mit Kuhaugen an, als er fragte: »Wo hast du die her?«
»Das tut nichts zur Sache«, antwortete ich. »Ich weiß eine Menge. Wenn du mir jetzt noch erzählst, was ich nicht weiß, kann ich vielleicht helfen.«
Der arme Kerl war völlig konfus im Kopf. Er biss sich auf die Lippen und begann zu singen: »Alev hat x-mal mit dem Arschloch, also mit dem Verstorbenen, gesprochen. Sie versuchte ihm zu erklären, dass sie damit aufhören und eine ehrenwerte Frau werden wollte. Aber der Typ ließ sie einfach nicht in Ruhe. Er machte sie runter und beschimpfte sie. Er bedrohte sie damit, sie mit den Fotos vor allen unmöglich zu machen, ja sogar, sie wegen Prostitution einbuchten zu lassen. Wir hatten keine andere Wahl, verstehst du? Ich ging an dem Tag zu ihm, um ihn einzuschüchtern und die Aufnahmen zu holen. Seine Wohnungstür stand offen. Da sah ich seine Leiche auf dem Sofa. Ich hatte Riesenangst, aber trotzdem nahm ich all meinen Mut zusammen, um die Fotos dort zu suchen, wo Alev mir geraten hatte. Am Schluss fand ich sie alle. Das dachte ich zumindest. Gerade als ich gehen wollte, stieß ich mit dem verrückten Ertan zusammen. Er war aus dem anderen Zimmer herausgeschossen. Da begriff ich, dass er den Mord verübt hatte, und floh in wilder Panik.«
Eigentlich war die Geschichte hochinteressant, aber ich konnte mir das Gähnen nicht verkneifen. »Okay«, sagte ich. »Ich werde dich da rausholen. Keine Angst. Dann heiratest du halt Alev Abla oder Yeşim, und wenn das nicht klappt, dann haust du eben ab nach Tibet.«
Mit entsetzter Miene sah Erkin Abi seiner letzten Chance in Form meiner Wenigkeit ins Gesicht. »Was bist du?«
»Die Negative sind dabei«, sagte ich und deutete mit meinem Kopf auf den Umschlag. »Denk einfach, dass Gott mich geschickt hat. Oder der Satan. Das kannst du dir aussuchen.«
Gerade drehte ich mich zum Gehen um, da hörte ich, wie Alev Abla knurrte: »Der Satan. Du bist die Brut des Satans.« Sie lebte also noch. Das freute mich. Sie hatte tiefdunkle Ringe unter den Augen, und Tränen rannen ihre Wangen hinab. In jener Stimmung war sie die schönste Frau, die ich je in meinem
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