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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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erwidern müssen: »Das stimmt.« Wer weiß, was ihm durch den Kopf ging, welche Geister ihn ritten. »Aber ich habe eine gute Nachricht: Der Vergangenheitsfresser, der Duygu Fırtına heimsuchte, ist der König und der Stärkste von ihnen.«
    »Darf ich den Grund erfahren, warum uns diese frohe Botschaft so fröhlich stimmt?«, fragte ich mit einem halben und künstlichen Lächeln.
    »Zuallererst erschütterte mich die Nachricht, dass sich einige Vergangenheitsfresser gegenseitig attackierten und bei dem Aufruhr krepierten«, begann Öztürk seine Erklärung. Na denn Prost. »Ich war in meiner Dienststelle. Ich dachte nach. Warum hatten sie das wohl getan? Ich strich über die Troddeln an meiner Uniform und nahm die Sache in Angriff. Später fügte ich dem Ganzen noch einige statistische Daten et cetera hinzu.« Hatte das Generalsein Öztürk eine effeminierte Haltung eingebracht, oder kam das nur mir so vor? »Dann habe ich ihr Geheimnis gelüftet: Wenn wir ihren König umbringen, können wir die Vergangenheitsfresser vernichten!«
    Zweifelnd kratzte ich mich am Kinn und kniff die Augen zusammen (mein Kinn juckte tatsächlich). »Sind Sie sicher, dass sie zu jener Gattung gehören? Und außerdem – wie haben Sie die Verbindung zwischen den Daten hergestellt?«
    »Sie verstehen nicht, Meister!«, sagte der verdammte Öztürk, die Hände in der Luft ringend, und beugte sich an mein Ohr, als würde er mir ein Geheimnis verraten. Das tat er dann auch: »Die Vergangenheitsfresser verfügen über Antennen. Antennen, mit denen sie schlechte Erinnerungen orten. Sie treffen keine bewusste Wahl, sondern attackieren instinktiv die schlechteste Erinnerung in ihrer Umgebung. Verstehen Sie immer noch nicht?«
    »Du sagst also, dass sie irgendwie blind sind«, überging ich seine Frage oder Rhetorik mit einer diplomatischen Antwort.
    »Diese kannibalistischen Vergangenheitsfresser griffen eigentlich nur das stärkste Leid in ihrer Umgebung an. Das ist auch der Grund dafür, warum sie sich gegenseitig auffraßen. Und ich sage: Das Schlimmste, woran ein Vergangenheitsfresser denken und sich dementsprechend später erinnern kann, ist der Tod seines Königs«, sagte er lachend, den Kopf um fünfunddreißig Grad nach rechts geneigt und boshaft mit seinem Finger herumfuchtelnd.
    Ohne meinem Freund die Gelegenheit zu geben, meine Hirnlosigkeit noch ein weiteres Mal zu betonen, führte ich ein Manöver aus, das als schützende Polemik in die Literatur eingegangen ist: »Ich bin scheinbar zu doof; all das sagt mir gar nichts.«
    Öztürk reagierte auf meine Taktik mit einem Schachzug verständnisvoller Dominanz. »Ich verstehe. Lass mich erklären: Ich begriff, dass, wenn der Tod des Königs eine so grässliche Erinnerung für die Vergangenheitsfresser war, ihre Antennen eine solch attraktive Beute nicht ablehnen würden. Sie würden übereinander herfallen und allesamt krepieren.«
    »Hast du das in einem Buch gelesen oder ist das auf deinem Mist gewachsen?«, wurde ich für einen kurzen Moment vulgär.
    »Meinen Berechnungen zufolge kann kein Mensch in einem Umkreis von vierzigtausend Kilometern ein stärkeres Schmerzerinnerungssignal geben als ein Vergangenheitsfresser, dessen König tot ist. Lass es mich so formulieren: Stellen wir uns einen Vergangenheitsfresser vor, der an der Nase des jungen Werther vorbeigeht. Wenn es in vierzigtausend Kilometer Distanz einen weiteren Vergangenheitsfresser gibt, dessen König tot ist, wird das Monster dem jungen Werther keinerlei Interesse entgegenbringen und sofort zum Angriff auf seinen Artgenossen übergehen.«
    »Das ist kaum zu glauben!«, widersprach ich vehement.
    »Es gibt weniger Leid auf der Welt, als du denkst.«
    »Oder weniger Menschen«, meinte ich, und das erschien mir äußerst bedeutsam. »Und was ist, wenn zwischen zwei Vergangenheitsfressern mehr als vierzigtausend Kilometer liegen?«, fragte ich dann, um ihn zu ärgern.
    »Den Informationen unserer Pioniereinheiten zufolge ist das nicht möglich«, stauchte mich mein Freund und größter Rivale zusammen.
    »Wie sieht ein Vergangenheitsfresser aus, wo lebt er, was isst er, was trinkt er, und wie kann man ihn töten?«, fragte ich, mein Schicksal akzeptierend.
    »Im Allgemeinen sind sie elektromagnetischer Schnickschnack«, antwortete Öztürk. Ich wusste, dass er ein spezielles Interesse für diese elektrischen Dinge hegte, aber ich provozierte das Thema nicht. »Allerdings verwandeln sie sich beim Eintritt in den menschlichen

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