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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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westlichen Filmen goss Öztürk aus einer einzelnen Teekanne Tee in meine Tasse aus chinesischem Porzellan und sagte: »Vergangenheitsfresser. Wenn du nichts dagegen hast, sollen sie heute das Objekt unseres Kampfes sein.«
    »Das hängt davon ab, wie interessant das Thema ist«, lautete meine höchst angemessene Antwort. Vor allem, als der Tee meine Oberlippe leicht verbrannte. »Erzählen Sie, wenn Sie möchten.«
    »Hängt das Schicksal der Welt davon ab, wie interessant Sie ein Thema finden?«
    »Mein Schicksal hängt davon ab, mein Augenstern.«
    »Die Distanz, die Sie zwischen sich und die Menschheit bringen, erstaunt mich jedes Mal zutiefst, mein Teuerster.«
    »Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen darauf eine passende Antwort geben, aber welchen Sinn hat das, wenn nicht einmal eine Duygu Hanım zwischen uns steht, der wir den Kopf verdrehen wollen?«
    »Ich verbitte mir das.«
    »Ich habe das nicht ernst gemeint, ich wollte nur auf unsere schlechten Neigungen hinweisen.«
    »Lassen Sie uns nicht über Bosheiten sprechen und uns damit die Laune verderben. Wir sollten nicht die düsteren Seiten unserer Seelen ehren.«
    »Ein Thema zu vermeiden kann genauso als Interesse daran interpretiert werden, wie es anzusprechen. Ich glaube, der Blick auf die Haltung des Einzelnen bringt uns an diesem Punkt nicht weiter. Letzten Endes hat der Mensch häufig nicht allzu viele Alternativen. Menschen mit unterschiedlicher Intelligenz und Reife können zu derselben Einstellung gelangen.«
    »Lassen wir den Verdruss!«, brauste Öztürk in seiner sinnlosen Art auf, an die ich allerdings bereits gewöhnt war. »Wir sind Aktivisten!«
    »Das stimmt leider nicht«, sagte ich. »Erzählen Sie mir dennoch Ihre Geschichte von den Vergangenheitsfressern. Dann machen wir uns auf und werden aktiv.«
    »Lassen Sie Ihren Tee nicht kalt werden«, meinte Öztürk und schlürfte an seinem eigenen. Ich tat es ihm nach.
    Wir redeten kein Wort, bis wir unseren Tee ausgetrunken hatten. Ich sage nicht, dass wir nicht reden konnten, beachten Sie das bitte genauestens. »Ich weiß, warum du so denkst!«, brüllte Öztürk und schwenkte sein von irgendwoher auftauchendes Zepter gen Himmel. Scheinbar befürwortete er, dass alle Punkte, die den Eindruck erweckten, ich beschäftigte mich nur wider Willen mit dem Thema Vergangenheitsfresser, der Reihe nach und mit großer Entschlossenheit behandelt wurden. »Wir sind nämlich keine Aktivisten, weil … Wegen deiner perversen Fantasien.« Der alte Öztürk war verschwunden und an seine Stelle ein Schauspieler getreten. Er redete in der Manier eines wütenden Gladiators. Ich hatte natürlich vorher schon gehört, dass er wie ein wütender Gladiator redete, aber nicht mit mir. Während eines anderen Abenteuers, bei dem wir die Welt vor den Römern retteten, hatte er manche Sklaven oder Caesar – ich weiß nicht mehr, wen – so angebrüllt
(Aus der Episode: »Ergonomische Unglücksfälle«)
. Und warum spielte er sich derart vor mir auf? Sollte ich ihn jetzt schlagen? Ich scherte mich nicht darum und ließ ihn in seinem Oratorium fortfahren. »Ein Meer voller Feinde / Wo ist unser Schiff?«, sagte er, diesmal wie Caesar. Er litt unter einem Anfall von gespaltener Persönlichkeit. Einer Art Halluzination. »Welche Feinde haben wir mit dir besiegt, welche Frauen geliebt?« Duygu Fırtına? »Aber du verleugnest jetzt alles für eine Lüge! Nein, wir hätten diese Tage nicht erlebt, nein, mich gäbe es gar nicht, nein, das seien alles deine Fantasien! Woher nimmst du das?« Dieses hässliche Finale passte nicht recht zu dem prächtigen Einstieg. Öztürk war und blieb eben Öztürk.
    »Vergessen wir das alles, mein lieber Öztürk. Das alles habe ich dir in einem Moment der Schwäche erzählt«, sagte ich, kurz bevor ich für diejenigen, die die früheren Folgen verpasst hatten, eine informative Klammer öffnete (In einer Folge hatte der Protagonist unserer Geschichte seinem geliebten Waffenbruder Öztürk erzählt, dass es die Welt, in der sie lebten, gar nicht gab, dass Öztürk persönlich in diese nicht existente Welt gehörte und dass alles nichts anderes war als eine Kaskade von Fantasien, die sich ein in der realen Welt unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidendes Mittelklassekind unter seinem Diwan zusammensponn. Öztürk hatte heftig dagegen protestiert und die Idee verfochten, das angesprochene Problem resultiere daraus, dass der Professor, der in dem Abenteuer mittels eines

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