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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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ausgefeilten Elixiers den Verstand der Menschen okkupierte, dasselbe auch mit unserem Protagonisten anstellte. Danach bekam der verrückte Professor die gerechte Strafe, die Debatten zwischen dem Haupt- und dem Nebenhelden jedoch fanden kein Ende.
Aus dem Abenteuer: »Der Grüne Apfel und die Prüfung durch das Bewusstsein.«
) Klammer zu, der Regisseur forderte mich auf, weiterzumachen: »Ich hätte das nicht tun sollen. Niemand will daran glauben, dass er eine Lüge ist. Aber so ist es. Jeder ist eine Lüge.« Ich muss gestehen, dass ich eine Nanosekunde – garantiert nicht länger – überlegt hatte, den Satz in der Form
»Jeder ist eine Riesenlüge«
zu formulieren. Ich entschied mich nicht für den Glamour des amerikanischen Kinos, sondern für die Kraft der Bescheidenheit.
    »Wie erklärst du dir, dass wir heil aus all diesen Abenteuern herausgekommen sind?«
    Mit welcher Ernsthaftigkeit er eine Antwort erwartete! »Okay, aber wie erklärst du, dass nicht ich dir, sondern du mir ausgerechnet die Frage gestellt hast, die meine These vollkommen unterstützt?«
    Eine Zeitlang starrte mich Öztürk mit weit aufgerissenen Augen an. Ich glaube, er dachte dabei auch nach. »Tja«, entfuhr es ihm schließlich. »Tja, es muss etwas Telepathisches sein.« Er wollte das Thema schleunigst beenden.
    »Ja, ja«, sagte ich mit wegwerfender Geste. Dann stellte ich fest, dass meine Art, die Dinge abzuwimmeln, seine rechthaberische Ader gänzlich beflügeln würde, und unternahm sogleich ein korrigierendes Manöver. »Daran hatte ich auch gedacht. Eine solche Wahrscheinlichkeit besteht leider.«
    Meine Haltung, die ich ihm präsentierte, mich mit einem 1:1-Gleichstand abzufinden, erschien Öztürk nicht allzu überzeugend. »Darf ich dann fragen, warum Sie bei jeder Gelegenheit in dieser verlogenen Welt auftauchen? Um Ihre größenwahnsinnigen Fantasien zu befriedigen?«
    »Darum geht es natürlich auch«, gestand ich ein und fügte sofort hinzu: »Aber eigentlich, mein lieber Öztürk, geht es darum, dass ich mich hier auch intelligenter fühle und nicht nur glücklicher und in Sicherheit.« Dann drehte ich mich um wie Kartal Tibet in dem Film
Senede Bir Gün
. Als wäre es nicht Kartal Tibet, der nach was weiß ich wie vielen schrecklichen Jahren im Knast aus dem Jemen floh, um zu seiner Liebsten zurückzukehren; der am Tag seiner Rückkehr erfuhr, dass seine Liebste in dem Glauben, er sei tot, an einen anderen versprochen wurde; den seine Liebste aufsuchte, nachdem sie die Hochzeit mitten in der Zeremonie platzen ließ, als sie von seinem Kommen erfuhr; der ihr aber – dem eine Minute zuvor geäußerten Wunsch ihres Vater folgend – vortäuschen musste, er hätte die Jahre in diesen fernen Ländern gern verbracht und nicht, weil er dazu gezwungen gewesen war; der seiner freundlich lächelnden Liebsten erzählte, er habe in Erzurum ein wenig Land gekauft, geheiratet, zwei Kinder in die Welt gesetzt und sei glücklich – nicht der berühmte Schauspieler war das, sondern ich, euer treuer Diener. Genau wie Kartal Tibet spielte ich meine Rolle mit leidvoller Mimik, die nicht nur mein Gesprächspartner, sondern Millionen von Menschen sehen sollten. »Ich habe eine bittere Kindheit verbracht, Öztürk«, sagte ich schniefend. »Ich konnte nicht einmal krumme Sätze bilden. Ich konnte es nicht, weil ich Angst hatte. Ich trug Verantwortung. Während sich meine Altersgenossen in ihrem gebrochenen Türkisch prima verstanden, sich unterhielten und dabei alle Grammatikregeln vergewaltigten, ohne Kenntnis von Einleitung, Aufbau und Schluss einen Aufsatz mit zufälligen Absätzen schrieben, blieb ich … Blieb ich den Satzelementen treu und betrog mich dabei selbst. Mein Leben zog in Form von korrekten Sätzen dahin. Natürlich machte ich, ohne es zu wissen, Fehler. Wenn ich es gewusst hätte … (An dieser Stelle fiel mir durch eine heftige Kopfbewegung mein gegelter Pony in die Stirn, und höchstwahrscheinlich ballte ich meine Fäuste.) Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich den Inhalt umgebracht und den Satz gerettet. Aber sieh dir an, wie es jetzt um mich steht. Die Worte sind ungenügend, die Grammatik ist penetrant! Ich bilde unsinnige Sätze, und das Glück, das ich empfinde, bereitet mir Scham und Sorge!«
    »Das ist nichts Beschämendes«, sagte Öztürk, seine Hand freundschaftlich auf meine Schulter legend, und erklomm gleichzeitig den Gipfel der Unfähigkeit, Kontexte herzustellen. »Du hast nur das getan, was notwendig

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