Söhne und Töchter des Feuers, Band Eins: Verbrannte Hoffnung (German Edition)
zögern Eintritt gewähren. Er und Sayos, der jüngere Bruder der Königin, sind die einzigen zwei Personen, die ohne Begleitung der Wachen die Gemächer der Königin betreten dürfen.
Aus der bereits geöffneten Tür zum königlichen Salon schleppt sich ein bleicher Schatten. Enryk, der weiße Seher der sagettarischen Königin, schleicht mit kleinen, vorsichtigen Schritten an Fanyik vorbei. Ein keuchendes Krätzchen kommt über seine spröden, schwarzen Lippen. Sein kraftloses Haupt ist gesenkt und sein weißes Kinn ruht auf der schmalen Brust. Das Starren seiner roten Augen richtet sich auf den Lustknaben der Königin und lässt ihn nicht von ihm los. Fanyik spürt das Starren des unheimlichen Schattens noch in seinem Nacken, als bereits einige Meter zwischen ihnen liegen. Sayos erzählte ihm einmal, das Enryk bereits unter den letzten beiden sagettarischen Königen diente. Über die Gründe der Könige Vylithiens, dem Rat der weißen Seher zu folgen, konnte selbst der Bruder von Königin Lynarat dem jungen Fanyik keine eindeutige Auskunft geben. Einige vermuten, es gäbe eine Verbindung zwischen den Sehern und dem Sieg der Menschen über das Feuer am Ende des zweiten Zeitalters, während andere sie für ein Relikt des Herrschertums der alten Welt halten, die vor so vielen Jahren zusammen mit den Menschen Vylithien erreichten.
Diese bleiche, durchsichtige Haut. Dieses ausgedünnte, weiße Haar. Die rot glühenden Augen und seine schmalen, schwarzen Lippen. Fanyik schaudert es immer, wenn er dem Seher begegnet. Bisher hatte er es vermieden, der Königin gegenüber Dankbarkeit dafür zu äußern, Fanyik des Raumes zu verweisen, wenn sie die Dienste des Lustknaben in Anspruch nimmt. Fanyik ist in seinen Gedanken verloren, als er vor den Gemächern der Königin stehen bleibt. Doch Lynarat hat seine Schritte längst bemerkt.
„Komm ruhig herein“, sagt sie betrübt, „Du bist mir immer ein willkommener Anblick.“
Es fällt ihm schwer, in dem Klang ihrer Stimme zwischen Ironie und Ernst zu unterscheiden. Er betritt ehrfürchtig den Raum. Fanyik erkennt, dass die Königin versucht, mit einem gequälten Lächeln den Kummer in ihrem Gesicht zu verbergen. Er sieht sie zwischen ihrem hohen, mit Seidentüchern abgehängten Bett und ihrer am Fenster stehenden mit Gold überzogenen Kommode stehen. Sie trägt ein schwarzes, eng anliegendes Kleid aus Leder. Grüne Federn, die eng auf ihren Schultern anliegen, führen über den Rücken hinunter, laufen auf Hüfthöhe nach vorn und führen dann seitlich ihre Beine entlang bis nach unten. Sie hält ihre Hände vor dem Unterleib verschränkt. Große Knöpfe, abwechselnd golden und dunkelgrün wie die Federn, zieren ihr Kleid von vorn und führen fast bis ganz hoch zu ihrem Hals. Ihr langes, tiefschwarzes Haar ist zu zwei strengen, nach hinten liegenden Zöpfen geflochten.
„Was ist mit dir los?“, möchte er wissen, als er in ihr regungsloses Gesicht sieht.
Sie reißt die Augen weit auf, schüttelt den Kopf und lächelt Fanyik panisch an. „Gar nichts ist los. Was soll schon los sein?“
Fanyik macht einen Schritt auf die Königin zu. Er weiß, dass sie keine körperliche Nähe wünscht, und ist nicht überrascht, als diese die Verschränkung ihrer Hände löst und ihm ihre ausgestreckte Hand entgegen hält und ihn zum Stehenbleiben auffordert.
„Ich habe Sayos im Fenstergang getroffen. Er schien es eilig gehabt zu haben“, berichtet Fanyik.
Doch die Königin reagiert nicht auf seinen Versuch, ihm Informationen über den Auftrag ihres Bruders zu entlocken. Sie ist nicht in der Stimmung ihre Gefühle und Gedanken mit ihrem Lustknaben zu erörtern.
„Er erfüllt seine Dienste als Abgesandter seines Volkes im Widerstandsrat. Der Rest soll nicht deinen schönen Kopf belasten.“, antwortet die Königin und schreitet zu ihrem opulenten Schminktisch.
„Du kannst mit mir reden“, bietet ihr Fanyik aufrichtig an.
Die Königin setzt sich, dreht ihm den Rücken zu und blickt ihn über ihren Spiegel an. Fanyik kennt diesen Ablauf inzwischen zu gut. Beinahe jeder Moment, den er hier bei ihr in ihrem Schlafzimmer verbringt, verläuft ähnlich.
„Wenn ich es für nötig halte, mit dir über politische oder sicherheitsrelevante Dinge zu sprechen, werde ich davon wahrscheinlich überraschter sein als du“, belehrt sie ihn, „Nun lege deine Kleider ab und setze dich auf das Bett.“
„Natürlich“, antwortet Fanyik und beginnt langsam, seine hellbraune Stoffweste mit
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