Söldnerehre (German Edition)
Themenwechsel irritiert.
»Wie viele Moyri-Soldaten?«, drängte der alte Mann weiter.
»Oh. Das. Also zu Beginn des Gefechts waren es etwa dreihundert. Den Spuren nach. Aber unter den Flüchtlingen waren auch Soldaten. Sie sind nicht kampflos untergegangen und ich vermute, dass sie mindestens hundert Moyri mit sich ins Jenseits gerissen haben.«
»Dann sind sie sehr schnell unterwegs. Inzwischen dürften sie bereits ein gutes Stück vor uns sein. Damit sind wir zumindest fürs Erste außer Gefahr.«
»Vermutlich«, antwortete Kilian eher vorsichtig.
»Wir müssen sie begraben.«
Der Söldner fuhr auf dem Absatz herum und sah Lyra ungläubig an. Sie erwiderte trotzig seinen Blick.
»Wir müssen einfach«, beharrte sie.
»Das kann nicht dein Ernst sein. Sie zu bestatten, wird Stunden dauern, wenn nicht sogar einen ganzen Tag. In der Zeit sind wir leichte Beute für jeden, der uns ans Leder will. Ganz davon abgesehen, verrät es jedem Moyri zwischen hier und Erys, dass nach dem Überfall jemand vorbeigekommen ist. Dadurch werden wir zu Freiwild. Ohne mich. Ich würde gern noch ein wenig länger leben.«
Kilian wollte sich abwenden, doch sie griff erneut nach seinem Arm und hielt ihn mit überraschender Kraft fest wie in einem Schraubstock.
»Da unten liegen Familien«, erklärte sie sanft. »Frauen und Kinder. Willst du sie wirklich als Fressen für die Tiere liegen lassen?«
»Hör mal, Boss«, mischte sich Jonas ein. »Vielleicht sollten wir …?«
»Sollten wir was?«, unterbrach Kilian ihn mitten im Satz. »Jedem Moyri in der Gegend verraten, welchen Weg wir genommen haben?«
»Diese Leute haben ein anständiges Begräbnis verdient«, sprang Silas helfend bei. »Wenn das alles ist, was wir für sie tun können, dann dürfen wir ihnen das nicht versagen.«
Kilian sah sich in der Runde um. Faris war natürlich auf Lyras Seite. Etwas anderes war sowieso undenkbar. Jonas und Silas hatten ihre Meinung bereits kundgetan. Auf den Gesichtern der anderen erkannte er vorsichtige Zustimmung für Lyras Standpunkt. Mit seiner Haltung stand er allein da.
Er ließ frustriert die Schultern sinken und fügte sich kopfschüttelnd in sein Schicksal. »Wie ihr meint. Dann begraben wir sie. Aber ich befürchte, das wird uns schon bald sehr, sehr leidtun.«
* * *
Logan wusste, was für ein Anblick ihm bevorstand, noch bevor er die letzten Zweige beiseitedrückte und hinaus auf die Straße trat. Der Geruch von verkohltem Holz lag in der Luft. Am Wegesrand lagen die Überreste mehrerer Fuhrwerke, von Flammen verzehrt und nur noch Gerippe. Aber der Kopfgeldjäger vermutete, dass sie auch zu ihren besten Zeiten nicht sonderlich besser ausgesehen hatten.
Etwas abseits der Straße qualmte ein Scheiterhaufen vor sich hin. Auf ihm lagen die Skelette von Pferden, Kühen und Schafen. Jemand hatte die Kadaver aufgetürmt und angezündet, damit durch die Verwesung keine Seuchen in Umlauf gebracht wurden.
Sehr umsichtig, honorierte er die Aktion.
Seine Blicke aber am stärksten zogen die Gräber an, die unweit des Scheiterhaufens ausgehoben worden waren. So viele, dass Logan jegliche Lust verließ, sie zu zählen. Es waren mit Sicherheit mehrere Hundert – einige davon so klein, dass dort nur Kinder begraben sein konnten.
Er spuckte angewidert aus.
Seine Verachtung für Polloks Mordhorden war immer schon hoch gewesen, aber bei diesem Anblick stieg sie noch.
Im Gegenzug stieg seine Achtung vor seiner Beute. Sie wurden verfolgt und hatten sich trotzdem die Zeit genommen, diese armen Menschen zu beerdigen. Seine Lippen teilten sich zu einem halb resignierten, halb amüsierten Lächeln, als hinter ihm unter knackenden Ästen und raschelnden Büschen Gia und Jesy aus dem Unterholz brachen.
Die dunkelhaarige Jesy begann sofort, sich unter wüsten Flüchen und Beschimpfungen Blätter und kleinere Zweige aus dem lockigen Haar zu zupfen. Gia hatte für ihre eitle Freundin nur ein schadenfrohes Kichern übrig.
Logan hatte keine andere Möglichkeit gesehen, als die beiden mitzunehmen, doch er hätte nie für möglich gehalten, dass sich Menschen so unbeholfen und vor allem laut im Wald zu bewegen vermochten. Wobei Gia mit der Umgebung deutlich besser zurechtkam als ihre Freundin.
Als sie ihre Umgebung bemerkten, verstummten sie schlagartig und selbst Jesy hörte auf, sich zu beschweren. Logan fragte sich, was für Erinnerungen die Gräber von Opfern der Moyri bei den beiden ehemaligen Sklavenmädchen auslösten.
Die Antwort
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