Söldnerehre (German Edition)
Tageslicht herrscht.« Ein leichtes Lächeln umspielte die Mundwinkel des alten Mannes.
Lyra blickte zu Kilian hoch. »Ist das wahr?«
»Was spielt das für eine Rolle?«, herrschte er sie mit mühsam unterdrücktem Zorn an. »Du scheinst von mir immer nur das Schlechteste zu denken. Also was soll’s, wo ich hingehe oder was ich tue?«
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und wollte durch die offene Türe stürmen, doch Lyra sprang von ihrem Stuhl auf, überbrückte die Entfernung zu ihm in zwei großen Sätzen und packte ihn an der Schulter, um ihn zurückzuhalten.
»Warte!«
»Worauf?« Er war noch immer wütend auf sie. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er ihr keinen Grund gegeben, etwas Gutes über ihn zu denken. Er war ein Mann, der für Geld beinahe alles tat. Hatte er nicht schließlich auch für die Moyri gegen sein eigenes Volk gekämpft? Nein, er konnte ihr wirklich keinen Vorwurf machen, wenn sie schlecht über ihn dachte. Trotzdem schmerzte ihre Meinung, die sie von ihm hatte. Und das war die erschreckendste Erkenntnis von allen.
»Es tut mir leid. Ich … es tut mir leid.«
»Schon gut«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
»Wenn du gehst, wird er dich vielleicht töten.«
»Vielleicht.«
»Aber warum …?«
»Warum ich trotzdem gehe? Darian und die anderen sind meine Brüder.«
Es war eine einfache Aussage, die jedoch alles sagte, alles, was es darüber zu sagen gab. Die Männer, die Logan gefangen genommen hatte, waren mehr als seine Freunde, mehr als seine Kampfgefährten. Es waren seine Brüder. Sie kamen einer Familie für ihn so nahe, wie es nur irgend möglich war. Er musste zumindest versuchen, sie zu retten. Der Nebeneffekt war natürlich, dass er dadurch Logan zumindest eine kleine Weile von Lyra und ihrer Schar ablenkte.
»Sogar Silas?«, fragte sie mit einem humorigen Unterton in der Stimme.
Trotz der bedrohlichen Situation entlockte diese Frage Kilian ein Schmunzeln. »Ja, sogar Silas.« Er drehte sich halb zu ihr um. »Wehe, du sagst ihm auch nur ein Wort davon.«
»Ich verspreche es«, schmunzelte sie zurück.
»Wenn ich in zwei Stunden nicht zurück bin, dann versucht, euch selbst durchzuschlagen. Erys liegt etwa fünf bis sechs Tagesreisen entfernt. Ihr könnt es schaffen, wenn ihr die Hauptstraßen meidet.«
»Danke. Und was wird aus dir? Du weißt doch nicht einmal, wo du Logan suchen sollst.«
»Oh, ich denke, ich habe inzwischen eine ganz gute Vorstellung davon, wo ich ihn finde.«
* * *
Kilian kniete sich hin und untersuchte Boden und Schnee auf Spuren. Er befand sich nun an der Stelle, an der sie Vekal verloren hatten. Er hatte lange darüber nachgedacht, warum Vekal bei Tag angegriffen worden war. Alle anderen hatte sich Logan nachts geholt. Nun war er sich hundertprozentig sicher, die Lösung gefunden zu haben. Sie mussten damals Logans Unterschlupf gefährlich nahe gekommen sein. Und Vekal hatte sie geführt und den Weg voraus ausgekundschaftet. Folglich war er für Logan die logische Wahl für einen Angriff gewesen. Sein Verlust hatte sie schlussendlich zur Umkehr bewogen.
Anfangs waren seine Gedanken um das Problem gekreist, wie er nun Logans Unterschlupf finden wollte. Ganz auf sich allein gestellt, diesen Teil des Waldes zu durchsuchen, schien keine besonders erfolgversprechende Möglichkeit zu sein. Dann hatte er sich auf eine Faustformel besonnen: Die beste Möglichkeit, jemanden zu suchen, war, sich von dieser Person finden zu lassen. Falls Logan tatsächlich so gut war, wie jeder behauptete – und Kilian hatte nicht den allerkleinsten Grund, daran zu zweifeln –, dann würde diesem seine Anwesenheit nicht verborgen bleiben.
»Ziemlich mutig, allein hierherzukommen.«
Kilian stand auf und drehte sich betont langsam um. Er hatte nicht die Absicht, sein Gegenüber zu einem verfrühten Angriff zu provozieren. Wenn es schon einen Kampf geben sollte, dann zu seinen Bedingungen und zu einem Zeitpunkt, den er bestimmte, nicht Logan.
Der Kopfgeldjäger stand keine drei Meter hinter ihm, mit der Schulter lässig gegen einen Baum gelehnt. Kilian konnte es kaum fassen, dass ihm der Mann derart nahe gekommen war, ohne dass er dessen Annäherung bemerkt hatte. Weder hatte ein Zweig unter den Füßen des Kopfgeldjägers geknackt noch der Schnee geknirscht.
Verdammt, ist der gut …
»Welche Wahl hätte ich denn gehabt?«, verlangte Kilian zu wissen und widmete den Mann einer eingehenden Musterung. Soweit er es beurteilen konnte, trug der
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