Söldnerehre (German Edition)
mal dort«, rief Lyra plötzlich und deutete nach Osten.
Ein halbes Dutzend schwarzer Rauchsäulen erhob sich über die Baumwipfel des entfernten Waldes und wand sich träge zum Himmel. Unter der Gruppe breitete sich angespanntes Schweigen aus, während sie das furchtbare Schauspiel beobachteten.
Einige der Rauchsäulen schienen aus dem Dorf zu kommen, in dem sie Zuflucht gefunden hatten.
»Moyri-Plünderer«, presste Logan zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Was schätzt du, wie viel Zeit uns noch bleibt?«
»Ein Tag. Mit sehr viel Glück eventuell zwei. Die Hauptarmee wird noch einmal sieben bis acht Tage dahinter sein. Wenn wir großes Glück haben.«
»Vielleicht sollten wir uns den Flüchtlingen anschließen?«
»Zu welchem Zweck?«
»Um unsere Spuren zu verwischen. In der Menge gehen wir möglicherweise unter. Außerdem marschieren sie in dieselbe Richtung wie wir.«
»Eine Menschenmenge ist aber auch leichter aufzuspüren als eine kleine Gruppe. Du kannst davon ausgehen, dass die Plünderer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Spuren des Flüchtlingstrecks finden werden und ihnen folgen.«
»In einer großen Gruppe würde ich mich aber bedeutend wohler fühlen.«
»Irgendwie gefällt mir das Ganze nicht. Ich wünschte, ich hätte eine bessere Idee.« Er zuckte ergeben mit den Achseln. »Aber da dies nicht so ist, nichts wie los.«
* * *
Das Werwesen hob den Kopf und hielt die spitz zulaufende Schnauze in den Wind, um schnuppernd die Witterung aufzunehmen. Der Tiger-Dämon, der vor einigen Tagen noch ein Mensch gewesen war, war das mit Abstand größte Tier des Rudels und hatte sich schnell die Vormachtstellung als Alpha-Männchen gesichert. Die anderen Tiere – nicht ganz so groß und wild wie der Alpha – hatten dies stillschweigend akzeptiert.
An sein früheres Leben erinnerte sich der Alpha nur noch bruchstückhaft, in Form kurzer Erinnerungsfetzen und Albträumen in der Nacht. Er wusste nicht, was dies bedeutete, er wusste nur noch eins: Sein Herr und Meister – sein Schöpfer – hatte ihm eine Aufgabe übertragen, eine Aufgabe, die er erfüllen musste. Er hatte keine Wahl.
Er schnupperte erneut. Der Duft der Beute war stark, sogar überwältigend stark. Die Menschen waren nah. Bald würde sein Rudel sie eingeholt haben. Sein Schöpfer würde zufrieden sein.
Das Werwesen spannte seine Muskeln an, um loszusprinten, doch im letzten Moment hielt ihn etwas zurück. Über den Duft der Beute legte sich etwas anderes. Ein Duft, der nicht ganz so stark, aber dennoch verführerisch süß war.
Der Alpha bedeutete mit einem Wink seiner Schnauze dem Rudel, ihm leise zu folgen.
Nach weniger als hundert Metern erreichten sie den Ausgangspunkt der neuen Witterung. Eine Gruppe Menschen – allem Anschein nach mehrere Familien – schleppte sich durch den Wald. Ihre Schultern waren herabgesunken und der Alpha konnte ihre Erschöpfung beinahe riechen. Es waren vielleicht zwanzig.
Der Magen des Alphas meldete sich zu Wort und erinnerte das Werwesen daran, dass es heute noch nichts gefressen hatte. Die Mitglieder seines Rudels begannen, leise zu knurren.
Einer der Menschen fiel dem Alpha besonders ins Auge. Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann, dessen Haut metallisch glänzte und der etwas wie einen langen, glänzenden Dorn in der Hand hielt.
Der Rest Menschlichkeit, der in dem Werwesen noch vorhanden war und verzweifelt darum kämpfte, nicht in die Vergessenheit abzugleiten, kramte in den Erinnerungen. Es tat weh, sich zu erinnern. Körperlich und seelisch. Doch er wurde fündig und betitelte plötzlich den Dorn als Schwert und die metallische Haut als Rüstung. Er hatte nicht mehr genug menschlichen Verstand, um zu begreifen, was Schwert oder Rüstung waren oder wozu sie dienten, doch instinktiv begriff er, dass von diesem Mann Gefahr für sein Rudel ausging.
Doch der Duft frischen Fleisches war zu verlockend. Knurrend gab der Alpha den Befehl zum Angriff. Blind vor Hunger und Blutdurst stürmten die Tiere aus dem Dickicht. Jaulend, bellend und heulend stürzten sie sich auf die überrumpelten Menschen, allen voran der Alpha. Er hatte sich eine besondere Beute auserkoren: den Menschen in der metallenen Haut.
Doch wo die anderen Menschen in Panik und voller Angst auseinanderstoben wie eine verängstigte Schafherde, reagierte dieser völlig anders.
Er wirbelte behände um die eigene Achse, der glänzende Dorn kam geschmeidig nach oben und senkte sich so schnell,
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