Söldnerehre (German Edition)
dass der Alpha sich beinahe selbst daran aufgespießt hätte.
In allerletzter Sekunde gelang es ihm, abzubremsen und die Richtung zu ändern, um unter dem vermeintlich tödlichen Hieb hinwegzutauchen. Unterdessen fiel sein Rudel über die hilflosen Menschen her. Klauen und Fangzähne senkten sich in weiches Fleisch und Entsetzensschreie gingen in blutigem Gurgeln unter. Doch all dies bekam der Alpha nur am Rande mit. Seine Konzentration galt ganz allein seinem Gegner.
Der Mensch belauerte ihn, ließ ihn keine Sekunde lang aus den Augen. Die scheinbare Ruhe seines Gegenübers konnte den Alpha jedoch nicht täuschen. Seine Sinne waren hellwach und er spürte die Gemütslage des Menschen: keine Angst zwar – nein, ganz sicher keine Angst –, aber Schmerz. Ja, Schmerz, Schuld und Reue. Schmerz angesichts des Gemetzels ringsum. Schuld und Reue angesichts der Tatsache, dass er die Menschen in seiner Obhut nicht vor ihrem Schicksal hatte bewahren können.
Der Alpha entblößte seine langen, messerscharfen Reißzähne und knurrte den Menschen hasserfüllt an. Der Mensch hob alarmiert den Dorn in eine Art Verteidigungsposition.
Der Alpha konnte sich nicht mehr länger zurückhalten, Blutdurst und Kampflaune hatten ihn gepackt und wütend griff er an. Der Mensch schwang den Dorn und ließ ihn mehrmals gekonnt herumwirbeln, doch der Alpha war schnell, sogar überaus schnell.
Er achtete sorgsam auf jede Bewegung seines Gegners und passte die perfekte Gelegenheit ab, und als der Dorn gerade zu einer weiteren Parade geführt wurde, sprang er seinen Gegner an. Dieser wich einen Schritt zurück, doch der Rudelführer setzte ihm nach, ließ ihm keinen Spielraum, bis er den Menschen durch sein Eigengewicht umwarf und triumphierend auf ihm thronte. Er versenkte seine Zähne in die metallene Haut des Gegners, um seine verdiente Beute zu reißen.
Doch Triumph verwandelte sich in Schmerz und Überraschung, als seine Zähne auf harten Widerstand trafen und sein linker Eckzahn unter der Belastung brach. Die metallene Haut war nicht zu zerbeißen, sosehr er sich auch bemühte.
Sein menschlicher Gegner spannte all seine Muskeln an und warf mit einem ächzenden Aufschrei den bulligen Körper des Alphas beiseite. Mühsam rappelte sich der Mensch auf, doch der Rudelführer hatte nicht die Absicht, ihm zu gestatten, wieder in eine gute Position zu gelangen.
Erneut griff er an, noch wütender als zuvor. Dem Menschen gelang es gerade noch rechtzeitig, sich vor zwei weiteren Bissen, die auf seinen ungeschützten Kopf zielten, in Sicherheit zu bringen. Der Dorn kam in einem weiten Bogen hoch. Der Alpha war so in Rage, dass er die gefährliche Waffe zu spät bemerkte. Sie traf an der linken Kopfseite, etwa in der Mitte der Stirn. Der Schlag war jedoch eilig und ungezielt ausgeführt worden. Dies verschonte den Alpha vor einer tödlichen Wunde. Der Dorn glitt seitlich ab und fügte dem riesigen Tier einen Schnitt zu, der quer über die Stirn, sein linkes Auge und die linke Gesichtshälfte bis unter den Kiefer verlief und dabei das betreffende Auge ausstach.
Der Alpha heulte vor Wut und Schmerz auf. Er konnte links nichts mehr sehen. Sein Auge … er war auf der linken Seite blind. Der Mensch hatte ihn verstümmelt. Ohne nachzudenken, griff er erneut an. Nun gab er jedes Maß an Sicherheit oder Vorsicht auf und wollte nur noch eines: töten! Er rammte den Menschen mit seiner muskelbepackten Schulter und riss ihn von den Beinen. Der Mensch bewegte sich noch schwach, bemühte sich, von ihm wegzukriechen, doch der Alpha setzte nach, pflanzte seine Vorderläufe auf der Brust seines besiegten Gegners.
Die gelben Augen des Werwesens musterten seinen menschlichen Gegner noch für einen Augenblick. Es genoss die Hilflosigkeit und das Wissen um die bevorstehende Niederlage in den Augen des Menschen. Dann öffnete er sein Maul und riss dem Menschen die Kehle auf.
Blutverschmiert hob er den Kopf und setzte zu einem Siegesgeheul an, das noch meilenweit zu hören sein würde. Schließlich senkte er den Kopf und begann mit dem Festmahl.
* * *
Lyra fuhr erschrocken herum, als ein furchtbares Geheul durch die Luft hallte. Die Kinder drängten sich alle näher an Darian, der die Arme ausbreitete, um den kleinen Würmern ein Mindestmaß an Sicherheit zu vermitteln.
Viele in dem Flüchtlingszug, dem sie sich angeschlossen hatten, warfen sich verängstigte Blicke zu. Niemand wagte es, auch nur ein Wort zu sagen. Bei einer so großen Gruppe war die
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