Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Schule. Hast du zum Beispiel je von Giordano Bruno gehört, der im Jahr 1600 auf dem Scheiterhaufen gestorben ist? Oder von Newtons Gravitationsgesetz?«
»Nein, es gibt viel, was ich nicht weiß...«
»Wenn ich dich richtig kenne, dann weißt du nicht mal, warum die Erde um die Sonne kreist – und nicht umgekehrt.«
»Wie alt ist er ungefähr?«
»Keine Ahnung. Sicher fünfzig.«
»Und was hat er mit dem Libanon zu tun?«
Das war schwieriger. Sofie dachte zehn Gedanken auf einmal. Dann nahm sie den einzigen, den sie gebrauchen konnte:
»Albertos Bruder ist Major beim UN-Regiment. Und er kommt aus Lillesand. Bestimmt hat er damals in der Majorshütte gewohnt.«
»Ist Alberto nicht ein etwas seltsamer Name?«
»Kann schon sein.«
»Er klingt italienisch.«
»Weiß ich. Fast alles, was von Bedeutung ist, stammt aus Griechenland oder Italien.«
»Aber spricht er Norwegisch?«
»Glockenrein sogar.«
»Weißt du, was ich finde, Sofie? Ich finde, du solltest deinen Alberto mal zu uns einladen. Mir ist noch nie ein echter Philosoph begegnet.«
»Wir werden sehen.«
»Vielleicht könnten wir ihn zu deinem großen Fest einladen. Es macht Spaß, die Generationen zu mischen. Und dann dürfte ich vielleicht auch dabei sein. Ich könnte doch servieren. Wäre das keine gute Idee?«
»Gut, wenn er will. Es ist jedenfalls viel interessanter, mit ihm zu reden als mit den Jungs aus meiner Klasse. Aber ... dann halten sicher alle Alberto für deinen Freund.«
»Dann sagst du ihnen eben, dass das nicht stimmt.«
»Wir werden sehen.«
»Ja, wir werden sehen. Und Sofie – es stimmt, dass nicht immer alles so leicht war zwischen Papa und mir. Aber ich habe nie einen anderen gehabt ...«
»Jetzt will ich schlafen. Ich habe schreckliches Bauchweh.«
»Möchtest du eine Aspirin?«
»Ja, gut.«
Als die Mutter mit der Tablette und einem Glas Wasser zurückkam, war Sofie eingeschlafen.
Der 31. Mai war ein Donnerstag. Sofie quälte sich durch die letzten Schulstunden. In einigen Fächern war sie besser geworden, seit der Philosophiekurs begonnen hatte. In den meisten Fächern hatte sie schon immer zwischen »gut« und »sehr gut« gestanden; in den letzten Monaten hatte sie aber in einer Gemeinschaftskundeklausur und in einem Hausaufsatz ein klares »sehr gut« eingesackt. In der Mathematik sah es weniger rosig aus ...
In der letzten Stunde bekamen sie einen Aufsatz zurück. Sofie hatte sich das Thema »Der Mensch und die Technik« ausgesucht. Sie hatte losgeschrieben, über die Renaissance und den wissenschaftlichen Durchbruch, über das neue Naturbild, über Francis Bacon, der gesagt hatte, »Wissen ist Macht«, und über die neue wissenschaftliche Methode. Sie hatte sorgfältig klargestellt, dass die empirische Methode älter war als die technischen Erfindungen. Dann hatte sie geschrieben, was ihr über die Nachteile der Technik so eingefallen war. Alles, was Menschen tun, lässt sich zu Gutem und zu Bösem anwenden, hatte sie am Ende geschrieben. Gut und Böse sind wie ein schwarzer und ein weißer Faden, die immer wieder miteinander verflochten werden. Manchmal sitzen beide Fäden so dicht beieinander, dass es unmöglich ist, sie voneinander zu trennen.
Als der Lehrer die Aufsatzhefte austeilte, schielte er zu Sofie hinüber und nickte ihr mit einem schlauen Funkeln in den Augen zu.
Sie bekam eine Eins plus und der Lehrer fragte: »Woher hast du das alles?«
Sofie nahm einen Filzstift und schrieb mit großen Buchstaben ins Heft: »Ich studiere Philosophie.«
Als sie das Heft zuklappen wollte, schien plötzlich etwas aus den Mittelseiten zu fallen. Und zwar eine Ansichtskarte aus dem Libanon.
Sofie beugte sich über ihren Tisch und las:
Liebe Hilde! Wenn du das hier liest, haben wir schon am Telefon über den tragischen Todesfall hier unten gesprochen. Manchmal frage ich mich, ob Krieg und Gewalt sich wohl vermeiden ließen, wenn die Menschen bloß ein bisschen besser denken könnten. Vielleicht wäre das beste Mittel gegen Krieg und Gewalt ein kleiner Philosophiekurs. Wie wäre es mit dem »Kleinen UN-Philosophiebuch« – von dem alle neuen Weltbürger ein Exemplar in ihrer eigenen Muttersprache bekommen. Ich werde dem Generalsekretär diese Idee vortragen.
Am Telefon hast du erzählt, dass du jetzt besser auf deine Sachen aufpasst. Das ist schön, denn du bist wirklich der ärgste Schussel, der mir je begegnet ist. Dann hast du gesagt, dass du seit unserem letzten Gespräch nur einen Zehner
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